Nationalmannschaft Unerwartete Dominanz gegen die Niederlande durch Jamal Musiala
Amsterdam · Das Spiel gegen Holland verfestigt den Eindruck, dass Hansi Flick eine Mannschaft formt, die wieder Spaß macht. Gegen Holland war dafür ein Spieler hauptverantwortlich, dessen Lernkurve exponentiell zu verlaufen scheint.
Schon vor dem Spiel gaben die Gastgeber eine Kostprobe ihres Humors. Niederländer nehmen sich selten zu wichtig. Also ließen sie vor dem Spiel die 77-jährige Volksschauspielerin und Schlagersängerin Willeke Alberti einen ihrer älteren Hits in die weite Amsterdamer Arena schmachten. „Samen zijn“ sang die gute Dame und das Publikum stimmte tüchtig ein. „Zusammen sein“ also war die Devise der Holländer. Genau das war in den vergangenen Dekaden ja oftmals das Problem der Niederländer. Dass elf herausragende Fußballer auf dem Platz standen, die aber Besseres zu tun hatten, als zusammen ein Ziel zu verfolgen.
60 Minuten lang sah es währende des anschließenden Spiel so aus, als würde auch die niederländische Mannschaft, die sich am Dienstag der deutschen entgegenstellte nur äußerst widerwillig gemeinsam auf dem Feld stehen. Das Team von Hansi Flick drückte den Gegner unerwartet weit in dessen Hälfte und den Niederländern schien es ein Rätsel zu sein, weshalb sich ihre Geschwindigkeit und Technik nicht gegen diese vermeintliche Verlegenheitself durchsetzte. Denn Flick fehlten ja in Niklas Süle, Joshua Kimmich, Leon Goretzka, Serge Gnabry und Robin Gosens fünf Stammspieler.
Dass die Deutschen eine Stunde lang die Niederländer auf irritierenderweise dominierten, lag hauptsächlich am neu zusammen gesetzten Mittelfeldkern. Neben Ilkay Gündogan lief Jamal Musiala auf, der seine Ausbildung noch auf viel offensiveren Positionen durchlaufen hat. Zwar wollte Flick nach dem Spiel keinen seiner Spieler explizit herausheben, er kam aber nicht umhin, Musialas Leistung als „herausragend“ zu loben. Nicht nur, dass der 19-Jährige immer wieder leichtfüßig seine Gegner ins Leere laufen ließ und das Spiel geschickt verlagerte, er setzte dazu seinen schmächtigen Körper geschickt und vehement in der Defensive gegen die wendigen Holländer ein. Zwar hatte Musiala auf der gleichen Position auch schon für den FC Bayern gespielt, auf großer Bühne aber war seine Kunst noch unbekannt. Zuletzt hatte er auch gegen Israel in der Zentrale gespielt, aber Israel ist eben nicht Holland. Nachdem die mathematischen Grundkenntnisse der Bevölkerung in den Jahren dank Inzidenzen, R-Wert und Co. erhebliche Fortschritte gemacht haben, ist allerdings auch der Lernfortschritt Musialas nicht anders als als exponentiell zu bezeichnen. Mit Ilkay Gündogan hatte er zudem einen Spielpartner, der ihn versiert anleitete und absicherte, falls sich sein junger Partner mal geschwind in Richtung Strafraum davon machte. Einer dieser Vorstöße brachte den Deutschen auch die 1:0-Führung unmittelbar vor der Pause. Musiala legte zurück, die Holländer konnten nicht klären, Thomas Müller verwandelte wuchtig.
Hätte David Raum zwei Minuten nach der Pause ein wenig mehr Zutrauen in seinen linken Fuß gehabt, wäre van Gaal nach der Partie wahrscheinlich nicht auf die Idee gekommen, zu schwärmen: „Was ein Spiel!“ Der Hoffenheimer aber zögerte und verzog anschließend knapp. Die niederländische Mannschaft hatte bis dahin nicht den Anschein gemacht, sich gemeinschaftlich gegen eine Niederlage auflehnen zu wollen. Es war zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzusehen, dass van Gaal nach der Partie auch aus holländischer Sicht von einem „wunderschönen Fußball-Abend“ schwärmen konnte.
Weil sich aber die niederländische Mannschaft doch noch ihrer spielerischen Klasse besann und die deutsche Elf die zuvor hohe Intensität halten konnte, waren die Niederländer nach dem Ausgleich von Steven Bergwijn (68.) der Führung plötzlich näher als die Deutschen. Hätte Schiedsrichter Craig Leigh Pawson in der 72. Minute nicht den zuvor verhängten Elfmeter nach einem vermeintlichen Foul von Thilo Kehrer nach Ansicht der Videobilder zurückgenommen, wäre die deutsche Mannschaft wahrscheinlich als Verlierer vom Feld gegangen. Es wäre ein Resultat gewesen, das dem Spielverlauf nicht entsprochen hätte, aber um derartige Kleinigkeiten kümmert sich der Sport nur selten.
So konnte am Ende Thomas Müller stimmig zusammenfassen, dass „die erste Halbzeit schon ziemlich gut“ gewesen sei. „Die Richtung stimmt. Wir haben gemerkt, dass wir mit den guten Mannschaften nicht nur mithalten können, sondern auch dominieren.“ Dass der in Sachen Humor den Holländern in nichts nachstehende Offensivmann derartiges unwidersprochen feststellen würde können, war vor einigen Monaten noch nicht abzusehen. So riss zwar die Serie Flicks nach acht gewonnenen Spielen in Serie – die Erkenntnisse nach dem Remis in Holland aber dürften ihm wichtiger sein. Dass man den nächsten Auftritten der Nationalmannschaf im Juni gegen Italien, England und Ungarn nun eher gespannt als gebangt entgegenblickt, ist der größte Fortschritt unter Flick.