Brasiliens Angst vor der WM-Tristesse
London (dpa) - Die Seleção betreibt auf ihrer Welt-Tournee 15 Monate vor der Heim-WM schlechte Eigen-Werbung. Das Last-Minute-1:1 gegen Russland an der Londoner Stamford Bridge war da sinnbildlich: So spielt kein fünfmaliger Fußball-Weltmeister und schon gar kein Titelkandidat.
Der neue, alte Nationaltrainer Scolari steht mit seiner Begeisterung über die Entwicklung des Teams ziemlich allein da. „Wir sind auf jeden Fall auf dem richtigen Weg“, behauptete der 64-Jährige, der in seiner zweiten Trainer-Ära nach drei Spielen weiter sieglos ist.
Bisher stehen ein 1:2 gegen England, ein 2:2 gegen Italien und das 1:1 gegen die Sbornaja zu Buche. Brasiliens Sportblatt „Lance!“ rechnete sorgenvoll vor, dass „Felipão“ viel schlechter als seine Vorgänger Mano Menezes und Dunga gestartet sei.
„Lance!“ schreckte nach dem „Festival der Fehlpässe“ auch nicht mehr vor Kritik an Neymar zurück, dem angehenden Weltstar des FC Santos und möglichen Aushängeschild der WM 2014. „Wie lange noch ist Neymar unantastbar?“, fragte das Blatt. Der britische „Guardian“ unkte, Neymar sei vielleicht nur eine dieser „Übersee-Fantastereien“. Gegen England in Wembley und nun erneut in London blieb der 21-Jährige jeweils blass.
Statt der brasilianischen Samba-Tänzerinnen feierten im eisigen Chelsea schließlich vor allem die vielen reichen Russen mit donnernden „Rusija“-Sprechchören an der Bridge. Englands Ex-Nationalcoach Fabio Capello war trotz betonter Coolness („Das war ein Freundschaftsspiel.“) die Genugtuung bei seiner Rückkehr in die britische Hauptstadt anzumerken.
Die Sportzeitschrift „Sowjetski Sport“ jubelte über „Russischen Karneval in London“. Und Russlands Fußballverband schwärmte auf seiner Homepage gar von einem „Superspiel gegen einen Supergegner. Und wenn Gott will, sehen wir die Brasilianer in Brasilien wieder. Bei der Weltmeisterschaft!“
Der kriselnden Seleção läuft hingegen die Zeit davon. Die Südamerikaner können gegen die großen Mitbewerber nicht mehr gewinnen. Seit dem 1:0 im November 2009 gegen England gab es sechs Niederlagen gegen frühere Weltmeister. Außerdem spielten sie zuletzt 2:2 gegen Italien.
Scolari, Weltmeister-Coach von 2002, kritisierte am Montagabend erneut den Terminkalender mit den zig Gastspielen in Übersee - aber genau die wünschen sich die mächtigen Sponsoren. Immerhin stehen vor dem Confed-Cup im eigenen Land (15. bis 30. Juni) nur noch Heimspiele an: gegen Chile (24. April), erneut gegen England und gegen Frankreich.
Und wo bleibt das Konzept von Scolari? Bisher Fehlanzeige. Typisch war gegen Russland, dass in Fred einmal mehr ein Altstar den Ausgleich in der 90. Minute erzielte. Ebenso typisch war, dass sich die Abwehr beim Gegentor durch Viktor Fayschulin (73.) wieder einmal dilettantisch anstellte. Bayern-Profi Dante, in der Bundesliga der überragende Verteidiger dieser Saison, musste sich das Ganze von der Bank aus anschauen. Das Internet-Portal „Terra“ fällte ein vernichtendes Urteil über den Rekordchampion: „Eineinhalb Jahre vor der WM 2014 ist der Horizont für das Team von Felipão düster.“