Ein Jahr vor EM in Polen: Hoffnung und Zweifel
Warschau (dpa) - Randalierende Hooligans, fehlende Autobahnen, Verzögerung beim Stadionbau und schwache Leistung der eigenen Nationalelf - die Organisatoren der Fußball-Europameisterschaft im Co-Gastgeberland Polen haben ein Jahr vor dem ersten Anpfiff einen schweren Stand.
Nach jahrelanger Selbstzufriedenheit in Polen, das neben der Ukraine erstmals eine EM ausrichtet, schreckt nun seit Wochen eine Hiobsbotschaft nach der anderen die Öffentlichkeit auf. „Hat sich Polen mit der EURO 2012 übernommen?“, fragte besorgt die Zeitung „Polska“ Anfang der Woche auf der Titelseite und drückte das aus, was die meisten Bürger denken.
So kann der Bau des Nationalstadions in Warschau nicht wie geplant im Juli abgeschlossen werden. Die Fertigstellung der Arena, wo am 8. Juni 2012 Polen das Eröffnungsspiel bestreiten soll, verzögert sich wahrscheinlich um mehrere Monate. Auch das Freundschaftsspiel gegen Deutschland am 6. September, mit dem das Stadion eingeweiht werden sollte, muss möglicherweise in eine andere Stadt verlegt werden.
„Das Spiel selbst ist nicht bedroht“, sagte Piotr Golos vom polnischen Fußballverband PZPN in Berlin und ergänzte: „Bisher gibt es noch keine Entscheidung, dass das Spiel nicht in Warschau stattfindet.“ Ursprünglich sollte das Stadion im August 2011 eröffnet werden. Wegen baulicher Mängel drohen nun jedoch erhebliche Verzögerungen. Nach Angaben der Organisatoren muss die zuständige Baufirma bis zum 15. Juni einen neuen Zeitplan vorstellen.
Verspätungen gibt es auch in Danzig. In Posen, wo das Stadion seit Herbst steht, will wiederum das Gras auf dem Spielfeld nicht wachsen. Regierungsvertreter versuchen die Gemüter zu beruhigen. „Die EURO 2012 ist nicht gefährdet“, versichert Marcin Herra von der Firma PL2012, die im Auftrag der Regierung die Vorbereitungen koordiniert. Von „kleinen Fehlern“ spricht Sportminister Adam Giersz. Auch UEFA-Turnierdirektor Martin Kallen stellt sich hinter Polen.
Unterdessen veröffentlichte die Oberste Kontrollkammer des Landes ihren Bericht über die Vorbereitungen auf die EURO 2012. Dort wird zwar von „Fortschritt“ gesprochen, doch das Ausmaß der Verzögerungen bei EM-Investitionen könnte den reibungslosen Verlauf des Endturniers gefährden. Der größte Verzug wurde beim Straßenbau festgestellt.
Ein Geldstreit behindert die Arbeit bei zwei wichtigen Abschnitten der Autobahn 2 zwischen Lodz und Warschau. Die chinesische Firma COVEC bezahlt seit Wochen die polnischen Subunternehmen nicht mehr. Infrastrukturminister Cezary Grabarczyk hat den Chinesen ein Ultimatum gestellt: Bis Donnerstag sollen sie einen Notplan vorlegen, sonst droht die Regierung mit Vertragsauflösung und hohen Strafen.
„Ein rechtzeitiger Abschluss ist immer noch realistisch“, sagte Grabarczyk dem polnischen Fernsehen TVPInfo. Die A2 ist die Hauptverkehrsverbindung für Fans aus Deutschland in die polnische Hauptstadt. Auch andere Straßenbauprojekte sind im Verzug. Die Opposition rief den Minister Grabarczyk zum Rücktritt auf.
Noch verheerender für das Image Polens sind die gewaltbereiten Fans. Krawalle bei Spielen sowie antisemitische und rassistische Parolen und Transparente sind keine Seltenheit. Als Anfang Mai beim polnischen Pokalfinale Hooligans das Spielfeld gestürmt und sich eine Schlacht untereinender und mit der Polizei geliefert hatten, drohte Regierungschef Donald Tusk: „Jetzt ist Schluss mit lustig.“
Auf seine Anweisung hin wurden die Stadien von Legia Warschau und Lech Posen vorübergehend geschlossen. Im Eilverfahren hat die Regierung ein Gesetzpaket vorbereitet, mit dem sie das Gewaltproblem in den Griff bekommen will. Kernpunkte: Stadionverbot und Fußfesseln für aggressive Fans, schnelle Prozesse im Stadion, Vermummungsverbot.
Nach einem Lokalderby in Radom hatten Rowdys Polizisten mit Flaschen, Steinen und Metallgegenständen beworfen. Die Bilanz: Elf verletzte Beamte und 95 festgenommene Hooligans. „Man kann nicht sagen, dass es nur ein Problem von Polen und der Ukraine ist“, meinte Tomasz Zahorski von der Gesellschaft PL.2012. Ausschreitungen von Hooligans seien vielmehr „ein gesamteuropäisches Problem“.
Angesichts der Probleme bleiben Polens Bürger skeptisch: Sechs von zehn bewerten den Stand der EM-Vorbereitungen schlecht, nur zwei sind damit zufrieden. Noch pessimistischer sind die polnischen Fans, was die sportlichen Chancen angeht: Drei Viertel der Befragten glauben nicht an einen Erfolg ihrer Nationalelf. Nur 20 Prozent halten ein gutes Ergebnis für möglich. Er brauche noch Zeit, sagt Nationalcoach Franciszek Smuda. Aber die läuft ihm und den Organisatoren davon.