Estland aus dem Häuschen - „Werde nicht schlafen“

Tallin (dpa) - Was für ein Erfolg! Estland, 1924 einmal bei Olympischen Spielen mit seiner Fußball-Nationalmannschaft vertreten, bejubelte überschwänglich den Einzug in die Playoffs zur Fußball-EM 2012. Dabei konnten die Esten selbst gar nichts mehr machen.

Außer zuschauen - und feiern.

Serbiens Pleite in Slowenien war Estlands Glück. Die Stimmen der Reporter überschlugen sich, der Jubelschrei nach dem Schlusspfiff hallte durchs Stadion in Tallinn. Den Akteuren des Weltranglisten-58. stand nach dem erstmaligen Einzug in die Playoffs eine lange Nacht bevor. „Ich denke, ich werde nicht schlafen können“, meinte Mittelfeldspieler Martin Vunk: „Das ist ein Sieg für die gesamte estnische Nation.“ Die Tageszeitung „Päevaleht“ packte alles in drei Worte: „Super! Unbegreiflich! Geschichte!“

Ohne selbst noch ins Geschehen eingreifen zu können, schafften die Esten den größten Fußball-Erfolg in der Geschichte des 1,5-Millionen-Einwohner-Landes. Nach der eigenen 0:2-Niederlage im Testspiel gegen EM-Mitgastgeber Ukraine harrten Spieler, Fans und Verantwortliche gespannt und aufgeregt noch im Stadion von Tallinn aus. Die Straßen der Hauptstadt waren wie leer gefegt. Im rund 1600 Flugkilometer entfernten Maribor spielte sich das Geschehen ab.

Die eine Dreiviertelstunde später angepfiffene Partie zwischen Serbien und Gastgeber Slowenien entschied über die EM-Zukunft der Esten. „Die zweite Hälfte in Slowenien war so spannend für uns“, erzählte Vunk. Dabei fiel die Entscheidung im ersten Spielabschnitt, als Dare Vrsic zu einem Freistoß aus rund 40 Metern Anlauf nahm. Der Ball stieg in die Luft, machte einen hohen Bogen und senkte sich über Serbiens verdutzten Schlussmann Bojan Jorgacevic ins Tor. Nach dem Seitenwechsel vergab dann auch noch Manchester-United-Star Nemanja Vidic einen Strafstoß für die enttäuschten Serben.

Serbien war raus, Estland darf sich als Zweiter der Gruppe C hinter Ex-Weltmeister Italien auf die K.o.-Spiele am 11./12. und 15. November freuen. „Ich habe erst in der zweiten Minute der Nachspielzeit in Maribor dran geglaubt“, sagte Verbandspräsident Aivar Pohlak. Erst einmal nahm das Land an einem internationalen Fußballwettbewerb teil: Bei den Olympischen Spielen 1924 in Paris ging das einzige Spiel 0:1 gegen die USA verloren.

Und auch am 7. Juni 2011 sah die estnische Fußball-Welt noch anders aus: Vier Tage nach einem 0:3 gegen Italien setzte es eine 0:2-Pleite auf den Färöer Inseln. Schon zum Auftakt der EM-Qualifikation hatte sich der Baltikum-Staat zu einem bescheidenen 2:1 gegen den Underdog der Underdogs gequält. Doch dann legten die Esten einen Zielspurt nach Maß hin. Drei Siege in drei Spielen, zuletzt ein 2:1 in Nordirland. Zweifacher Torschütze: Konstantin Vassiljev, angestellt bei Amkar in der russischen Liga.

Der 27-Jährige erzielte insgesamt ein Drittel der 15 Tore Estlands auf dem Weg in die Playoffs. „Unser Geheimnis ist recht einfach: Wir haben gut gespielt und Vassiljev hat die Tore geschossen“, meinte Mitspieler Vunk.

Auf wen sie nun treffen - Portugal, Kroatien, Tschechien oder Irland -, spielte für die Esten im ersten Freudentaumel keine Rolle. „Darüber denken wir später nach“, betonte Vunk. Erst einmal wollten sie dem Moment genießen: „So fühlt sich wahre Freude an.“ Torwartlegende Mart Poom (120 Länderspiele) meinte mit Blick auf die Auslosung in Krakau aber schon mal: „Wir hoffen, dass wir am Donnerstag etwas Losglück haben werden und dann ganz Europa überraschen können.“