Bundestrainer im dpa-Interview Löw: „Ich sehe beim Confed Cup überhaupt kein Risiko“
Frankfurt (dpa) - Der WM-Probelauf kommt Joachim Löw gerade recht. Denn 2018 können Kleinigkeiten über die Titelvergabe bei der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland entscheiden. Der Bundestrainer will in vielerlei Hinsicht „eine Horizont-Erweiterung“ für seine Spieler.
Sein Team werde „nicht mit Scheuklappen“ durch das Land reisen, betont Löw im Interview der Deutschen Presse-Agentur. Ein konkretes sportliches Ziel formuliert er für den Confederations Cup vom 17. Juni bis 2. Juli nicht.
Über den Sinn und den Stellenwert des Confed Cups ist viel diskutiert worden. Sie haben alles der WM 2018 untergeordnet. Welche positiven Dinge erwarten Sie sich dennoch von dem Turnier?
Joachim Löw: Ich habe als Co-Trainer den Confed Cup 2005 erlebt in Deutschland. Das war für uns gut: die Mannschaft hat sich gefunden. Man konnte die Abläufe testen, die Stadien, die Logistik. Das war ein hervorragender Test. Es ist eine gewisse Euphorie im Land entstanden. Dafür ist der Confed Cup super wichtig - jetzt auch für Russland. Und die Russen freuen sich auf dieses Turnier, sie sind fußballbegeistert. Auch für uns ist es eine willkommene Gelegenheit, um einfach noch mehr Erfahrung zu sammeln, das Land und die Menschen besser kennenzulernen, die Bedingungen vor Ort, die Stimmung aufzusaugen. Das hilft uns vielleicht dann im nächsten Jahr. Ich freue mich darauf. Und es bedeutet auch eine Horizont-Erweiterung für die Spieler.
Welche Schwerpunkte setzen Sie für die WM-Probe?
Löw: Wir haben eine junge, veränderte Mannschaft, mit der wir aus dem Kaltstart heraus arbeiten, um die Basis einzuschleifen, einige Automatismen einzustudieren, unsere Spielphilosophie zu vermitteln. Es wird für einige Spieler eine wichtige Erfahrung sein, mit der A-Mannschaft gegen Australien, Kamerun oder Chile zu spielen. Denn das ist noch etwas anderes als Bundesliga oder Europa League. Das sind andere Mentalitäten, andere Ideen vom Fußball als das, was wir hier kennen.
Verstehen Sie dennoch die Enttäuschung vieler Fans und des Gastgebers, dass die großen deutschen Weltmeisterstars wie Neuer, Kroos, Özil, Müller, Khedira, Hummels oder Boateng nicht auflaufen werden? Portugal kommt praktisch mit allen Europameistern.
Löw: Die Russen werden unsere Stars im kommenden Jahr sehen. Der Confed Cup ist ein Turnier zum Testen - für den Gastgeber genauso wie für uns. Auch sie werden einige Dinge probieren. Ich weiß vom russischen Trainer Stanislaw Tschertschessow, der ja mal in Innsbruck mein Spieler war, dass 2018 ganz wichtig für ihn ist. Aber ich kann natürlich eine gewisse Enttäuschung bei manchen verstehen. Doch die Fans wollen gerade bei uns diese Topspieler noch ein paar Jahre auf gutem Niveau sehen. Und sie wollen nicht sehen, dass sie verletzt sind.
Sehen Sie auch ein gewisses Risiko? Die Confed-Cup-Konkurrenz wird gegen den Weltmeister besonders motiviert sein. Chile bringt die besten Spieler mit, das wird eine Auseinandersetzung auf WM-Niveau.
Löw: Ich sehe beim Confed Cup überhaupt kein Risiko, ganz im Gegenteil. Der Confed Cup ist eine Chance. Nächstes Jahr müssen wir top in Form sein und eine gute Performance abliefern. Natürlich wird von der deutschen Nationalmannschaft immer erwartet, erfolgreich zu sein. Aber ich glaube, dass es jeder so einschätzen kann, dass eine WM oder EM im sportlichen Wert noch über dem Confed Cup steht.
Kommt trotz des anderen Charakters das von ihnen geliebte Turniergefühl auf? Sie sehen sich ja selbst als Turniertrainer.
Löw: Auf jeden Fall. Wir bereiten uns hinter den Kulissen und auf dem Platz genauso akribisch und professionell vor wie auf ein großes Turnier. Und wir werden gut vorbereitet sein auf den Confed Cup.
Gibt es trotz des Schwerpunkts der Entwicklung junger Spieler ein sportliches Ziel für das Turnier in diesem Sommer?
Löw: Nein. Das werde ich auch intern nicht formulieren. Ich werde schauen, dass wir eine möglichst homogene Mannschaft auf den Platz bekommen, die mit Einsatzfreude und Spielfreude zu Werke geht. Wir wollen sehen, wie unsere jungen Spieler gegen ein starkes Chile bestehen können und sich gegen Kamerun und Australien schlagen. Das sind ganz verschiedene Spielkulturen. Drei unterschiedliche Ideen vom Fußball. Diese Erfahrungen zu machen, ist sehr gut.
Was charakterisiert die Gruppengegner besonders?
Löw: Australien steht für Spirit, eine unglaublich positive Einstellung. Unabhängig vom Ergebnis spielen die Australier mit Freude. Sie sind nicht niederzukämpfen, kommen immer zurück. Chile agiert taktisch auf allerhöchstem Niveau. So variabel spielen nur wenige Nationalmannschaften. Da zählt Chile zu den zwei, drei besten Nationen der Welt. Und die Afrikaner: Das ist körperliche Kraft, Zweikampfverhalten, Durchsetzungsfähigkeit, eine unglaublich starke körperliche Präsenz.
Sehen sie einen Favoriten für das Turnier?
Löw: Chile ist nach meiner Einschätzung der Topfavorit. Die Mannschaft ist sehr eingespielt. Taktisch kann man viel sehen bei dem Team.
Es wird ein Blitzturnier mit Spielen alle drei Tage. Bedeutet das auch, sie werden vielen der 22 mitreisenden Spielern eine Chance geben? Kann es sein, gegen Australien läuft eine ganze andere Mannschaft auf als im zweiten Spiel?
Löw: Das ist unser Grundgedanke. Wir wollen allen Spielern möglichst viel Einsatzzeit geben. Es macht keinen Sinn, jemanden mitzunehmen, der am Ende nur zehn Minuten gespielt hat. Da wäre es auch schwer für uns, Einschätzungen zu machen. Ich muss dann zwischen den Spielen abwägen und entscheiden, wie viele Wechsel die Mannschaft verträgt. Der Grundgedanke aber ist, den jungen Spielern möglichst viele Einsatzzeiten zu geben. Nur so kann ich sie heranführen.
Sie wollen auch Erfahrungen und Eindrücke sammeln im Land des WM-Gastgebers. Welche Details könnten 2018 wichtig werden?
Löw: Man muss am Ende des Confed Cups viele Dinge zusammenfassen, was man alles erlebt hat, womit man konfrontiert wurde. Ich will ein Gefühl bekommen für das Land und die Menschen, die dort leben. 2009 war ich in Südafrika, 2013 in Brasilien beim Confed Cup. Das Wetter, die Anstoßzeiten, die Organisation, die Anfahrten zu den Stadien, die Hotels: Das waren für uns wichtige Erkenntnisse. Man konnte der Mannschaft danach sagen: Hey Leute, eins ist auf jeden Fall klar, wir kommen da hin und viele Dinge funktionieren nicht so wie bei uns. Wenn wir lamentieren und uns darüber ständig beschweren, verlieren wir unheimlich viel an Energie und Konzentration. Wichtig ist nur die Konzentration auf Fußball und Erfolg. Alles andere muss man so akzeptieren, wie es ist. In Brasilien waren wir bei jeglichen Dingen relaxed, ob die Klimaanlage ausgefallen war oder es keinen Strom gab.
Was erwarten Sie für spezielle Dinge in Russland? Sie haben die ersten Eindrücke bei der Auslosung in Kasan gewonnen.
Löw: Wir waren schon in unterschiedlichen Städten, haben viele Menschen getroffen. Die Menschen sind sehr gastfreundlich. Alle sind fußballbegeistert, schätzen die Deutschen sehr. Und die Russen sind stolz auf ihr Land und ihre Kultur. Das ist spannend. Alle freuen sich auf die WM. Stani Tschertschessow war einer meiner interessantesten Spieler, mit denen ich je gearbeitet habe.
Wollen Sie die Eindrücke des Confed Cups noch abwarten, bevor Sie die Entscheidung über ein WM-Stammquartier treffen?
Löw: Ja. Jetzt sehen wir noch Sotschi. Wir können nochmal die Entfernungen zwischen den Spielorten besser einschätzen. Das werden wir abwarten. Vorher gibt es keine Entscheidung zum Quartier.
Auch alles, was in Russland außerhalb der Stadien passiert, wird intensiv beobachtet werden. Fürchten Sie Auswirkungen auf das Sportliche?
Löw: Auswirkungen auf den Sport erwarte ich nicht. Ich finde es wichtig, wenn man auch hinter die Kulissen blickt in dem Land, in das man geht. Das war immer unser Ansatz. Wofür unsere Mannschaft steht, ist ja bekannt: für Werte wie Offenheit, Vielfalt, Integration, Toleranz, Fairplay, aber auch Spielfreude, Teamwork und Erfolg. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn solche Werte überall auf der Welt gelten würden. Aber ich finde, man sollte vom Fußball auch nicht verlangen, dass er Probleme überwindet, die auch die Politik nicht lösen kann. Wir wissen, dass wir in Russland auch mit Themen des gesellschaftlichen Lebens konfrontiert werden. Darüber werden wir unsere Spieler in angemessener Form auch informieren und aufklären. Auch vor anderen Turnieren wie in Südafrika und Brasilien gab es viele Diskussionen. Jeder sollte jedoch auch verstehen, dass wir uns dann auch wieder fokussieren müssen auf unsere Aufgabe, warum wir da sind. Nämlich sportlich erfolgreich zu sein. Klar ist, dass wir nicht mit Scheuklappen durch andere Länder reisen. Die Umstände dort interessieren uns immer.
ZUR PERSON: Joachim Löw führt seit 2006 als Bundestrainer die deutsche Fußball-Nationalmannschaft. Größter Erfolg war 2014 der Gewinn der Weltmeisterschaft in Brasilien. Den Titelgewinn will der 57-Jährige 2018 in Russland mit seinem Team wiederholen.