WM-Analyse Löw von Özil enttäuscht - Appell an Fans: Gündogan helfen
München (dpa) - Auch nach dem mit Rassismus-Vorwürfen begleiteten Rücktritt von Mesut Özil werden die umstrittenen Erdogan-Fotos die Fußball-Nationalmannschaft weiter begleiten.
Die Sportliche Leitung des DFB-Teams habe vor und während der blamablen WM in Russland das Thema „absolut unterschätzt“, räumte Joachim Löw bei der Aufarbeitung des Russland-Debakels ein. Zugleich appellierte der Bundestrainer an die Fans, beim Neustart Ilkay Gündogan zu unterstützen: „Ich appelliere, dass man das beiseite legt. Ilkay hat das Foto gemacht, er hat sich erklärt, es war nicht glücklich.“
Von der Art und Weise des Abschieds von Özil ist der Bundestrainer schwer enttäuscht. „Mit seinem Vorwurf über Rassismus hat Mesut ganz einfach auch überzogen. Es gab nie in der Mannschaft auch nur einen Ansatz von Rassismus, keinen Ansatz von rassistischen Äußerungen“, sagte Löw. Özil hatte unter anderen dem DFB-Präsidenten Reinhard Grindel Rassismus vorgeworfen. Der 29-jährige fühlte sich als WM-Sündenbock, nur bei Erfolgen sei er gewürdigt worden. Das löste in Deutschland eine breite Debatte über Integration aus.
„Ich habe mit Mesut neun wunderbare Jahre verbracht. Er ist ein toller Fußballer. Dass dieser Rücktritt so vollzogen wurde, schmerzt uns alle, ihn ja auch“, bemerkte Manager Oliver Bierhoff. Löw hatte den Ausnahmefußballer Özil auch in schwächeren Phasen immer gestützt und ihn bis zur WM-Endrunde in Russland stets als Stammkraft aufgeboten. „Wir dachten, dass wir das Thema aus der Welt schaffen mit dem Treffen beim Bundespräsidenten. Mein einziger wichtiger Gedanke war, uns richtig auf die WM vorzubereiten“, sagte Löw. Er hatte lange zu dem Thema geschwiegen und wurde dafür kritisiert.
„Es war so, dass sein Berater mich angerufen hat. Der Spieler selbst hat mich nicht angerufen“, berichtete der Bundestrainer am Mittwoch von der Özil-Trennung: „In der Vergangenheit war es sonst immer so. Der Mesut hat sich für einen anderen Weg entschieden. Ich habe mehrfach versucht, ihn zu erreichen, per SMS oder per Telefon. Es ist mir nicht gelungen, ihn ans Telefon zu bekommen.“
Dass der ebenfalls türkischstämmige Gündogan, der sich auch mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan getroffen hatte, beim Neuanfang zu seinem Aufgebot gehört, war für Löw keine Frage. „Ilkay hat sich nochmals bekannt zu den deutschen Werten, zur Mannschaft“, sagte der DFB-Chefcoach: „Sicherlich schlagen zwei Herzen in seiner Brust. Ich hoffe auf Verständnis von allen Fans, dass sie ihn gerade unterstützen. Er hat unter diesen Situationen auch sehr gelitten.“
Insgesamt hatten die Diskussionen vor und während der WM viel Kraft gekostet, berichtete Löw bei seinem ersten richtigen öffentlichen Auftritt nach neun Wochen. „Dieses Thema war nervenaufreibend, weil es immer wieder da war.“ Das sei aber nicht der Grund für den zeitigen K.o. gewesen. Ein Patentrezept, die Debatten zu beenden oder zumindest abzuschwächen, konnten Löw und Bierhoff auch jetzt nicht präsentieren. Eins sei klar, sagte der Manager: „Ein Nationalspieler kann keine Zielscheibe für rassistische Beleidigungen sein.“
Özil und Gündogan wurden von den Fans ausgepfiffen. „Ilkay konnte in dieser Situation nicht seine gewohnte Leistung abrufen“, bemerkte Löw. Sportlich sei es für ihn aber keine Frage gewesen, ihn jetzt für den Neustart gegen Frankreich und Peru wieder einzuladen: „Ich sehe in ihm einen Spieler, der den Durchbruch bei uns schafft.“