Ex-Leverkusen-Trainer Roger Schmidt geht ins Reich der Mitte
Schmidt wird am 1. Juli Trainer von Beijing Guoan in der chinesischen Super League. Der 50-jährige Ostwestfale übernimmt den Tabellensiebten aus Peking.
Münster. Am Aasee in Münster, im gediegenem Ambiente eines italienischen Edel-Restaurant mit weitem Blick über das Wasser, genoss Roger Schmidt am Freitag wohl vorerst ein letztes Mal die Beschaulichkeit und gute Luft. Gemeinsam mit seinem juristischen Berater und engstem Freund, Dr. Marco Angelis, galt es vermutlich auch die Inhalte eines Mega-Vertrages bis Ende 2019 sacken zu lassen. Ein Grund zum Feiern. Der 50 Jahre alte Fußballlehrer, beurlaubt bei Bayer Leverkusen seit März, übernimmt Anfang Juli den chinesischen Erstligisten Beijing Guoan. Und er dürfte damit zum bestbezahlten deutschen Trainer aller Zeiten werden, es wird ein Gesamtvolumen im satten zweistelligen Euro-Millionenbereich sein. In Münster genoss er die Idylle mit Blick auf die „grüne Lunge“ der Fahrradstadt. In Peking, der wuchtigen und hektischen Millionen-Metropole, gibt es auch massenhaft Räder, aber häufig Smog, und mancher sagt auch Feinstaub aus Kübeln. Die nächsten zweieinhalb Jahre wird das Schmidts sportliche Heimat werden.
China ist das Land, in dem für Fußballer, Trainer und Berater Milch und Honig zu fließen scheint. Die Summen, die hier gezahlt werden, übertreffen selbst die englische Premier League. Dabei hat Staatschef Xi Jinping Fußball zu einem neuen Staatsplan erhoben. Volkssport soll Fußball werden, und dabei Tischtennis um Serien-Weltmeister Ma Long sowie den Deutschen Starspieler Timo Boll, der saisonal in Chinas Super League als „Staatsfeind Nummer 1“ spielt, als Sportart Nummer eins ablösen. Chinas Politik denkt da mal wieder ganz groß, Weltmeister soll die Nationalelf in einem Jahrzehnt mal werden, vielleicht 2026 bei einer WM in der Wüste Gobi oder auf Grönland. Das wäre nicht auszuschließen, weil ja auch schon Katar 2022 den Zuschlag für das Weltturnier der Kicker erhalten hat. Aber das ist eine ganz andere Story.
Im kapitalistischen Kommunismus Chinas von heute steuern die Super-Konzerne die Geldflüsse der Vereine. Atemberaubend sind die Ablösesummen, für Oscar von Chelsea London sollen 60 Millionen Euro über den Tisch gegangen sein. Der argentinische Nationalspieler Carlos Tevez, mit 32 Jahren über den Zenit hinaus, verdient 753 000 US-Dollar - in der Woche bei Shanghai Shenhua. Macht 39,1 Millionen Dollar im Jahr. Da ist es nicht einmal unwahrscheinlich, dass der Berater von Cristiano Ronaldo, ein gewisser Jorge Mendes, nicht lügt, wenn er mit einer Offerte aus China kokettiert: „CR7“, mit 83 Millionen Euro Jahresverdienst jüngst zum bestverdienenden Sportler der Welt vom Forbes-Magazin erklärt, sollte für 300 Millionen Euro Ablöse von Real Madrid ins Reich der Mitte wechseln. Tendenz weiter steigend in allen Bereich des Kickens in China.
Und Schmidt? Seine Laufbahn als Coach, der nie in der Bundesliga gespielt hat, ist schon jetzt eine Traumreise. Beim SC Verl und SC Paderborn war er Spieler, später noch in Lippstadt und spielender Coach beim SC Delbrück. Er hatte eigentlich nicht vor, ganz auf die Karte Fußball zu setzen. Er studierte Maschinenbau und war gut dotiert angestellt als Bauingenieur bei Benteler in Paderborn, Spezialgebiet Kunststoffe. Erst als Mitte 2007 der damals in die viertklassige Oberliga abgestürzte SC Preußen Münster einen Fulltime-Coach suchte, sprang er von der sicheren auf die spannendere Seite, Leidenschaft siegte über Vernunft, ein Glücksgriff. Der damalige Sportvorstand Carsten Gockel und de Angelis „bearbeiteten“ Schmidt, bis der zusagte. Münster war sein Einstieg, der A-Lizenz-Inhaber führte den SCP in die Regionalliga, und musste dennoch im März 2010 gehen. Vereinschef de Angelis, für ihn überaus schmerzhaft, beurlaubte den Coach nach einem Heimspiel gegen den 1. FC Köln II.
Schmidt nutzte die freie Zeit, erwarb als Zweitbester seines Jahrgang 2011 die Fußballlehrerlizenz. Dann holte ihn der SC Paderborn, knapp scheiterte der ostwestfälische SCP 2012 am Aufstieg in die 1. Bundesliga, eine sensationelle Leistung mit einer No-Name-Truppe. Mittlerweile hatte Schalkes Ex-Coach und „Red-Bull-Mastermind“ Ralf Rangnick den Übungsleiter entdeckt und lockte ihn zu Red Bull Salzburg, hier holte Schmidt in seiner zweiten Saison Meisterschaft und Pokal - Paderborn kassierte die damals horrende Ablösesumme von einer Million Euro für den Jung-Trainer.
Im Sommer 2014 holte Bayer Leverkusen den gebürtigen Sauerländer. Schmidt hatte vor allem mit zwei Auftritten als Salzburger Coach für Furore gesorgt. In der Europa League zerlegten die Bullen Ajax Amsterdam, als die Schmidtsche Pressing-Maschine angeworfen wurde. Und in der Winterpause musste Bayern Münchens Pep Guardiola beim „Alpengipfel“, zwar nur ein Testspiel, eine 0:3-Niederlage gegen die Österreicher hinnehmen. Der Spanier verbeugte sich später vor dem Deutschen, diese Vorstellung hatte Eindruck gemacht. Schmidt war nun hip.
Roger Schmidt und Leverkusen war eine wirklich intensive Beziehung, weil der heute 50-Jährige seinen eigenen Kopf hat. „Er ist privat oft ganz anders als auf dem Platz“, meinte mal Leverkusens Sportchef Rudi Völler, „aber das wollen wir doch so“. Schmidt legte sich mit dem Boulevard und der Fachpresse an, ignorierte fast schon einige der medialen Platzhirsche, es machte ihm persönlich wenig aus. Der Erfolg schütze ihn. Sportlich war es lange Zeit top, Leverkusen erreichte regelmäßig die Champions League, scheiterte zwei Mal an Atletico Madrid, zumindest in den ersten zwei Spielzeiten gehörte die Werks-Elf unter Schmidt zu den Spitzenteams der Bundesliga. Als im März 2017 die Trennung erfolgte, da hatte Leverkusen noch Kontakt zu den Europa-League-Plätzen. Schmidts Nachfolger Tayfun Korkut verhinderte am Ende nur denkbar knapp den Abstieg. Korkut und Schmidt, nur so am Rande, waren beim Trainerlehrgang Freunde geworden. Jetzt schlugen aber die von Schmidt distanzierten Medien zurück, er war der Buhmann der Leverkusener Talfahrt.
Aber Schmidt sorgte an der Seitenlinie im vergangenen Jahr auch für Ärger. Neun Minuten musste Referee Felix Zwayer im Februar 2016 warten, bis der Übungsleiter Schmidt den Innenraum-Verweis akzeptierte und in den Katakomben verschwand. Dafür wurde der Leverkusener Trainer für fünf Spiele gesperrt, Leverkusen drohte den Faden zu verlieren, als Schmidt zurückkam gewann die Bayer-Elf nur noch. Verrückt. Ein paar Monate später lieferte sich Schmidt ein verbrieftes Rededuell mit Hoffenheims jungen Trainer Julian Nagelsmann. Die Frage von ihm blieb unbeantwortet, ob „der Spinner Nagelsmann den Fußball erfunden habe“. Ein Wortgefecht der härteren Sorte, die aufgestellten Richtmikrofone zeichneten alles auf, wieder zwei Spiele Sperre - und Leverkusen schied im DFB-Pokal bei Drittligist SF Lotte aus, während Schmidt die Partie nur im Bus hinter der Tribüne verfolgen konnte. Das wackelte der Trainerstuhl erneut.
Jetzt also China. In Deutschland gab es nicht so viele Adressen, die besser als Bayer Leverkusen gewesen wären. Bayern, Dortmund, Schalke, vielleicht noch Leipzig. „Ich weiß nicht, ob ich das ewig machen werde“, hatte Schmidt im Interview mit dieser Zeitung vor einiger Zeit als Bayer-Trainer gesagt. Unausgesprochen blieb, dass er sich nicht mehr verschlechtern wolle. Immer voran, immer besser, immer was Neues. Das war zwischen den Zeilen zu lesen. Für Schmidt blieb aktuell so fast nur noch eine Tätigkeit im Ausland, vielleicht auch ein bisschen Abenteuer, garniert mit einem lukrativen Salär.
Der Fußballlehrer hatte auch Nachfragen aus der englischen Premier League, der FC Everton hatte im Frühjahr die Fühler ausgestreckt. Aber auch bei Ajax Amsterdam stand er auf der Kandidatenliste ganz weit vorn, noch weiter vorn war er sogar bei der Besetzung der vakanten Stelle des niederländischen Nationalcoaches. Der technische Direktor Hans van Breukelen hatte Schmidt zum Favoriten gekürt, am Ende wurde es Dick Advocaat.
Schmidt hatte ausreichend Zeit, den Markt zu sondieren. Würde man ihn fragen, ob Geld das ausschlaggebende Argument für den Wechsel nach China gewesen sei, er würde den Kopf in den Nacken werfen, laut lachen und nichts dazu sagen. So macht er das häufig in solchen Fällen. Schmidt ist als exzellenter Verhandler in eigener Sache bekannt, sein Mentor und Freund Marco de Angelis steuert den Rest bei. Berater? Berater benötigt er nicht. Den Deal mit China hat er auch so hinbekommen. Beijing Guoan wird für ihn wie die Entdeckung einer neuen Welt werden.