Interview Ärger beim DFB: „Mesut Özil hat keine Informationspflicht“

Im Interview analysiert ein Medienwissenschaftler die Affäre, die „aus dem Ruder gelaufen“ ist. Es scheint kaum Auswege zu geben.

Mesut Özil wird gerade von allen Seiten angegriffen.

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Düsseldorf. Überall Frustration. Beim DFB, dem Spieler und auch den Journalisten. Der Kölner Medienwissenschaftler Thomas Schierl analysiert die „Affäre Özil“, die eine starke Eigendynamik bekommen hat.

Herr Professor Schierl, die Diskussion um die Bilder von Ilkay Gündogan und Mesut Özil mit dem türkischen Präsidenten Erdogan geht weiter. Was ist da schiefgelaufen in der Kommunikation?

Thomas Schierl: Wie es scheint, so ziemlich alles. Die Lage ist zu verfahren. Überall herrscht Frustration: beim DFB, bei den Spielern und bei den Journalisten.

War das nicht abzusehen?

Schierl: Das hat eine starke Eigendynamik bekommen. Es gab ja schon vorher Bilder von Özil mit Erdogan, und da hat es keine Affäre gegeben. Und so kritisch Herr Erdogan auch hierzulande gesehen wird, es ist das Recht von Herrn Özil, das anders zu sehen. Wir sind eine Demokratie, die mit so etwas umgehen muss.

Aber er ist Nationalspieler.

Schierl: Genau: Er ist Fußballer, kein Botschafter oder Minister.

DFB-Präsident Reinhard Grindel hat nun gefordert, Özil solle sich äußern. Wäre das eine Lösung?

Schierl: Ich glaube nicht, dass es jetzt noch ein Patentrezept gibt. Ebenso wenig wie es einen einzelnen Schuldigen gibt.

Der Verband und auch Manager Oliver Bierhoff stehen unter Beschuss für ihren Umgang mit dem Thema.

Schierl: Der DFB hat wohl den öffentlichen Druck unterschätzt und wollte dem nun entgegenwirken. Herr Bierhoff hat sich sicher nicht gut ausgedrückt in dem Interview, aber einige Medien haben da noch mehr hineingelesen und einen regelrechten Hype entfacht.

Hätte der DFB die Affäre zu Beginn steuern können?

Schierl: Für eine sinnvolle, gemeinsame Kommunikationsstrategie hätten alle Beteiligten, also auch die Spieler und ihre Berater, mitspielen und sich äußern müssen. Das wollten sie offenbar nicht. Und so sehr man es sich vielleicht gewünscht hätte, als Medienwissenschaftler muss ich sagen: Es gibt keine Informationspflicht. Kein Sportler muss Dinge über sich der Öffentlichkeit preisgeben. Wenn er sich in eine solche Situation begibt, muss er damit rechnen, dass darüber berichtet wird. Aber bitte sachlich.

Spieler wie Toni Kroos oder Niklas Süle haben sich beschwert, dass die Berichterstattung zu negativ gewesen sei.

Schierl: Nicht ganz ungerechtfertigt.

Sind Medien dazu da, gute Stimmung zu machen?

Schierl: Nein. Hofberichterstattung will keiner. Aber sie sind auch nicht dazu da, schlechte Stimmung zu machen. Kritik kann auch konstruktiv geäußert werden.

Profisportler nutzen auch die Öffentlichkeit. Müssen sie dann nicht damit rechnen, öffentlich kritisiert zu werden?

Schierl: In keinem anderen Beruf würden wir das akzeptieren. Nur weil ein Spieler die Medien nutzt, heißt es nicht, dass die Medien mit ihm machen dürfen, was sie wollen. In unseren Untersuchungen stellen wir eine allgemeine Verrohung in den Medien fest, die nicht nur für den Bereich Sport gilt. Und das hat Folgen.

Inwiefern?

Schierl: Wir wissen aus unseren Untersuchungen, dass es starke reziproke Einflüsse gibt. Das bedeutet: Was Toni Kroos macht, erscheint in den Medien, und das, was die Medien machen, hat wiederum Wirkung auf Toni Kroos.

Eine negative Berichterstattung kann also Einfluss auf einen Spieler haben?

Schierl: Ja. Vor allem, wenn sie als ungerechtfertigt empfunden wird. Wir haben 240 Athleten befragt. Von denen hat der Großteil gesagt, dass er Medienkontakt vermeidet, weil er sich oft danach schlecht oder falsch dargestellt fühlt. Darunter leiden Sportler, was zur Einschränkung von Leistungsfähigkeit führen kann. Man kann also schlechte Leistung durchaus herbeireden. Sportler sind keine Superhelden.