DFB-Neuanfang Nebengeräusche: Bierhoff-Kurs wirft Fragen auf
Berlin (dpa) - Durch seine missglückte Interview-Offensive hat DFB-Direktor Oliver Bierhoff seine Position als Krisenmanager selbst geschwächt und nach dem WM-Desaster Zweifel an einem reibungslosen Neuaufbau der Fußball-Nationalmannschaft provoziert.
In der brisanten Causa Mesut Özil ruderte Bierhoff schnell zurück und sprach von Missverständnissen und Fehlinterpretationen. Beim Thema Kommerz und Entfremdung von den Fans wehrt sich der Marketing-Experte Bierhoff aber weiter vehement gegen die Fundamentalkritik an einer angeblich übertriebenen Selbstinszenierung der gestürzten Weltmeister.
Ratschläge für die WM-Aufarbeitung an Bierhoff und Bundestrainer Joachim Löw kamen mittlerweile auch vom einstigen Chef und Reformator Jürgen Klinsmann. „Es ist wichtig, dass sie jedes kleine Stück analysieren, dass sie selbstkritisch sind. Und dann läuft die Zeit, weil sie schon im September gegen Frankreich in der Nations League spielen“, mahnte der Ex-Bundestrainer beim englischen Sender BBC.
Mit seinem TV-Interview beim ZDF hatte Bierhoff am Freitagabend versucht, von ihm selbst verursachte Wogen wieder zu glätten. Die nachträglich revidierten kritischen Aussagen zum brisanten Fall Özil hatten da aber schon für neue Unruhe gesorgt, die eigentlich auch DFB-Präsident Reinhard Grindel alarmieren muss.
Der Verbandschef reiste am Wochenende zurück nach Russland. In gut zwei Monaten will der vom WM-Aus durchgerüttelte DFB von der UEFA den Zuschlag als EM-Gastgeber 2024 erhalten. Dafür muss auf dem Funktionärsparkett noch kräftig geworben werden. Eine Wahl-Niederlage gegen die Türkei am 27. September wäre ein weiterer bitterer Nackenschlag für den deutschen Fußball. Die WM-Aufarbeitung in der Heimat überlässt Grindel also trotz des Reform-Fehlstarts vorerst noch allein Bierhoff und Löw.
Nach ersten verheerenden Medien-Kommentaren hatte sich der in die Defensive gedrängte Bierhoff in bislang nicht gekannter Deutlichkeit zu seinem Anteil am WM-Versagen geäußert. „Das sehe ich auch so, dass wir Teil des Problems sind. Ich denke, das ist auch richtig rübergekommen. Deswegen habe ich auch gesagt, wir müssen bei uns anfangen“, sagte der Ex-Stürmer über sich und Löw, der sich im Gegensatz zum Teammanager seit seinem Statement unmittelbar nach der Landung aus Russland nicht mehr öffentlich äußerte.
Ob die Analyse noch zum radikalen Schluss führen könnte, dass Bierhoff oder Löw oder sogar beide ihre Posten räumen könnten, darf aber bezweifelt werden. Die Kraft und Entschlossenheit, „die notwendigen Schritte einzuleiten“ attestierte sich Bierhoff selbst.
Die Sprengkraft der Causa Özil hatte er mit seiner Interview-Aussage für die Zeitung „Die Welt“ erneut falsch eingeschätzt. Seine Worte über einen eventuell versäumten Nominierungsverzicht im Zuge der Affäre um die Fotos mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan demonstrierten, wie heikel das Thema ist, vor allem gesellschaftspolitisch.
Trotz der späteren Relativierungen bleibt der Eindruck haften, Bierhoff habe Özil in die Rolle des WM-Buhmanns schieben wollen. Für Löw wird der Umgang mit Özil, aber auch den anderen 2014-Champions von Sami Khedira bis Thomas Müller zum Lakmus-Test der Reformfähigkeit.
Längst wird jedes Detail der kläglichen Russland-Reise unter die Lupe genommen. Die „Bild“-Zeitung berichtete am Samstag von einem angeblichen Wlan-Verbot für Nationalspieler im Quartier in Watutinki, das nächtliche Internet-Spiele unterbinden sollte. Vom DFB hieß es dazu am Samstag, dieses Thema habe bei der WM keine Rolle gespielt.
Beim Thema Geld ging Bierhoff im ZDF-Gespräch in die Offensive. Ohne die Millionen-Einnahmen der Nationalmannschaft ginge es dem ganzen deutschen Fußball schlecht. „Das Geld brauchen wir, um unsere gemeinnützige Arbeit des DFB leisten zu können.“ Im Vergleich zu anderen Turnieren sei „keine Kampagne“ zusätzlich geführt worden. Die Mannschaft habe wegen der Aktionen oder dem umstrittenen Label #zsmmn auch nicht schlecht gespielt.
Ähnlich klar trat Bierhoff dem Vorwurf einer Entfremdung der Nationalmannschaft von ihren Fans entgegen. Mehr verkaufte Trikots als 2014, Eintrittskarten für fünf Euro beim WM-Test gegen Saudi-Arabien, Autogramme von radelnden Spielern im Trainingslager in Südtirol führte er als Argumente an.
Früher habe man sich des Vorwurfs erwehren müssen, man sei zu „bräsig“, nun werde Kritik an einer Überinszenierung laut, sagte Bierhoff. „Jetzt ist es eine Entfremdung, mit einer Fanhansa zu fliegen, 2014 war es der Siegerflieger, der bei allen Gänsehaut entwickelt hat.“ Die Kritik nehme er an. Nach grundsätzlicher Überzeugung von weitreichenden Veränderungen klang das aber nicht.