WM 2018: Halbfinaleinzug - Belgische Träume werden wahr
Die Roten Teufel aus Belgien machen in Kasan ihr Meisterstück und legen den Rekordweltmeister Brasilien aufs Kreuz: Der etwas glückliche 2:1-Sieg im Viertelfinale gegen Brasilien zeigt die ganze Klasse .
Kasan. Vielleicht hat ja wirklich die Anwesenheit von Jean-Marie Pfaff geholfen: Vor den Augen des 64 Jahre alten Torwart-Idols, dessen Haar immer noch golden gekräuselt wie früher aussieht, hat der belgische Fußball seinen größten Erfolg nach dem Halbfinaleinzug bei der WM 1986 gefeiert: In einem flirrenden Viertelfinale setzten sich die Roten Teufel mit 2:1 (2:0) gegen Brasilien durch. Der Sieg nach einem Eigentor von Fernandinho (13.) und einem Sahnetor von Kevin De Bruyne (31.) geriet in der ersten Halbzeit zur Demonstration der Stärke.
Im Umschaltspiel ist dieses Team eine Wucht. Der gewiss nicht enttäuschende Rekordweltmeister blies in der zweiten Hälfte zur Aufholjagd, schaffte aber lediglich den Anschlusstreffer durch Renato Augusto nach genialer Vorarbeit von Philippe Coutinho (76.). Die packende Partie war beinahe eines Endspiels würdig und sowohl der eingewechselte Firmino (78.), Augusto (81.) als auch Coutinho (84.) hatten den eigentlich nicht unverdienten Ausgleichstreffer vor Augen. Wie paralyisert nahmen viele Brasilianer hinterher den Abpfiff hin: Marcelo blickte betreten zu Boden, als suchte er dort nach einer Erklärung, warum das Anrennen nutzlos war.
Flamen und Wallonen lagen sich derweil in den Armen: Bei der WM in Mexiko vor 32 Jahren stürmte noch ein Gerüst vom RSC Anderlecht mit Stars wie Jan Ceulemans, Enzo Scifo und René Vandereycken unter die letzten Vier und ließ sich erst von Argentinien mit Diego Maradona bezwingen. Ob nun Eden Hazard, Romelu Lukaku oder De Bruyne noch mehr erreichen können, wird das Duell gegen Frankreich am Dienstag in St. Petersburg zeigen. Trainer Roberto Martinez kann sich ans Revers heften, das Potenzial dieser Generation freigelegt zu haben.
Beim Kollegen Tite gingen hingegen die Mundwinkel wie überall in seiner Heimat nach unten. Denn unter dem Strich hat die Seleçao ungeachtet aller Fortschritte noch schlechter abgeschnitten als bei der Heim-WM vor vier Jahren. Bei allem Wehklagen über das 1:7 gegen Deutschland: Damals stand die Neymar-Generation — obwohl der Superstar ja verletzt fehlte —im Halbfinale. Die Träume vom „Hexa Campeao", dem sechsten Titel, können sich nun frühestens 2022 in der Wüste von Katar erfüllen.
Von Beginn an erfüllte diese prickelnde Paarung an der Kasanka-Mündung die Erwartungen. Die mit den zuletzt gegen Japan eingewechselten Marouane Fellaini und Nacer Chadli angetretenen Belgier hatte zunächst einige Mühe, als etwa der Ball vom Bein von Thiago Silva nur an den Pfosten prallte (8.). Doch dann drehte ein Eigentor von dem für den gesperrten Casemiro ins Team gerückten Fernandinho die Statik: Der Mittelfeldspieler konnte nach einer Chadli-Ecke wenig dafür, dass die Kugel von seinem Oberarm ins Tor rauschte. Der nächste Schachzug kam alsbald von der belgischen Trainerbank: Martinez bewies mit der Umstellung auf eine Viererkette seine taktische Expertise, denn von nun konnten die Belgier ihre ganze Klasse beim Konterspiel entfalten.
Als Lehrbeispiel fiel das 2:0: Unnachahmlich schüttelte der ebenso dynamische wie durchsetzungsstarke Lukaku seine Gegenspieler ab wie lästige Mücken vom Wolgaufer und seinen Pass nahm De Bruyne dankbar auf: Fast ansatzlos und knallhart hämmerte der 27-Jährige den Ball in die lange Ecke. Deutschlands Fußballer des Jahres aus dem Jahre 2015 profitierte davon, dass ihm mit Fellaini und Alex Witsel diesmal zwei Fleißarbeiter den Rücken freihielten. Geschlagen aber wirkten die Brasilianer noch nicht und bescherten dem starken Torwart Thibaut Courtois eine Menge Arbeit.
Tite reagierte zur Pause auf den fahrigen Auftritt seines Flügelstürmer Willian, für den Firmino kam, der auch prompt eine scharfe Hereingabe von Marcelo verpasste (51.). Und was war eigentlich mit dem bühnenreifen Schauspieler Neymar? Beinahe schon plump wie sich der 26-Jährige beim Dribbling im Strafraum auf den Boden warf, obwohl ihn niemand berührt hatte (53). Schiedsrichter Milorad Mazic entschied sofort auf Weiterspielen, hatte aber Brasiliens Nummer zehn für den Täuschungsversuch auch Gelb geben können. Auch eine Flugeinlage Neymars in der Nachspielzeit nach Körperkontakt war nicht elfmeterreif.
Glück jedoch besaßen die Belgier, dass eine Grätsche von Vincent Kompany gegen Gabriel Jesus ungestraft blieb. Die Zuhilfenahme der Videoassistenten führte nicht zu einer Elfmeterentscheidung (56.). Fragwürdig. Die Südamerikaner erzeugte bis zum Schluss enormen Druck und kamen zwischenzeitlich fast im Minutentakt zu zahlreichen Chancen. Einen Wermutstropfen gab es noch beim Sieger: Der auf den Rechtsverteidigerposten gerückte Thomas Meunier sah die zweite Gelbe Karte im Turnier und fehlt damit gegen Frankreich.