Belgien im WM-Fieber: Fanwelle überrollt das Land
Brüssel (dpa) - Die Belgier sind stolz und glücklich. Ihre Nationalelf steht bei der Fußball-WM in Brasilien im Achtelfinale. „Mission erfüllt“, bilanzierte Trainer Marc Wilmots kurz und bündig.
Schwarz-gelb-roter Siegestaumel überrollt das Land, das WM-Fieber hat fast alle gepackt.
Dass die Belgier so selig vereint den „Roten Teufel“ zujubeln, ist allerdings keineswegs selbstverständlich. Die niederländischsprachige Region Flandern im Norden und die französischsprachige Wallonie im Süden streiten seit Jahrzehnten um Macht und Sprache. 2010/2011 dauerte es 541 Tage, bis eine Koalitionsregierung gebildet werden konnte. Das war Weltrekord. Das kleine Königreich stand damals am Rande des Auseinanderbrechens. Nach den Parlamentswahlen von Ende Mai verhandeln die Spitzenpolitiker wieder, bisher gibt es keinen weißen Rauch.
Das Team von Wilmots hält das gespaltene Land zusammen. Verständigungsschwierigkeiten haben die Fans beim Public Viewing nicht. Mal singen sie „Tous ensemble, tous ensemble“ („Alle zusammen, alle zusammen“), mal „Waar is dat feestje? Hier is dat feestje!“ („Wo steigt die Party? Hier steigt die Party!“).
Flamen, Wallonen, Belgier mit marokkanischen oder kongolesischen Wurzeln - sie alle tragen Schals, Trikots oder Perücken mit der Afro-Frisur des Mittelfeldspielers Marouane Fellaini. Die Nationalflagge ist in. Auch König Philippe und Königin Mathilde fiebern mit. Beim Spiel gegen Russland saßen sie auf der Tribüne. Danach gab es - die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte es vorgemacht - ein königliches Selfie mit den „Roten Teufeln“.
Die französischsprachige Zeitung „Le Soir“ erklärt sich den Zusammenhalt mit geschickter Vermarktung, den Rekord-Einschaltquoten und einer hohen Identifizierung mit dem Multi-Kulti-Team. Wie ihre Fans sind die Spieler Flamen, Wallonen, Brüsseler - mit oder ohne ausländischen Wurzeln. Der erst 19 Jahre junge Divock Origi, Torschütze des entscheidenden 1:0 gegen Russland, ist kenianischen Ursprungs. Der Vater von Team-Kapitän Vincent Kompany stammt aus dem Kongo.
Wo Fußball-Fans nach dem Spiel die Innenstadt der zweisprachigen Hauptstadt Brüssel verstopfen, arbeiten Mathilde Vermeire und Tijs Magagi Hoornaert in einem Café. Wie eine „große Familie“ hätten die Fans gefeiert - so nennt auch Nationaltrainer Wilmots das Team. „Politiker betrachten Flandern und die Wallonie getrennt. Jetzt aber heißt es: Auf geht's Belgien“, sagte der niederländischsprachige Hoornaert.
„Die WM und die Wahlen, das ist perfektes Timing“, meinte Kevin Guidart. Bei einem Besuch im flämischen Antwerpen war der Brüsseler Student überrascht, mit wie viel Inbrunst die vielfach separatistisch gesinnten Flamen dort die belgische Flagge schwenkten.
Die Hotel-Angestellte Chloé Lemaire ist skeptischer. Der Rummel um das belgische Team gebe eine Vorstellung davon, wie Zusammenhalt aussehen kann. „Aber belgische Politik bleibt eben belgische Politik“, glaubt sie mit Blick auf die schwierige Regierungsbildung. Kritische Stimmen sagen, dass es nach der Fußball-WM mit der belgischen Harmonie bald vorbei sein könnte.