Benders WM-Aus verschärft Mittelfeld-Notstand
St. Leonhard (dpa) - Die gewaltigen Regenwolken über dem Passeiertal passten zur gedrückten Stimmung beim deutschen Team und Joachim Löw.
Der Bundestrainer muss nach dem WM-Aus des robusten Leverkuseners Lars Bender langsam aber sicher den Glauben gewinnen, dass seine geplante Titelmission bei der Fußball-WM in Brasilien unter keinem glücklichen Stern steht.
„Wenn so kurz vor einem Turnier ein Spieler verletzungsbedingt ausfällt, dann ist das für alle enttäuschend“, gestand Löw, während Turnier-Veteran Miroslav Klose den Versuch unternahm, die nächste Negativnachricht rasch zu verdrängen: „Die Seuche sehe ich bei uns noch überhaupt nicht.“ 26 Spieler umfasst das vorläufige WM-Aufgebot jetzt noch, 23 werden am 7. Juni nach Brasilien aufbrechen.
Das defensive Mittelfeld des Nationalteams hat sich nach der schweren Oberschenkelblessur des lauf- und kampfstarken Bender endgültig in ein personelles Notstandsgebiet verwandelt. Denn hinter den Leitwölfen Sami Khedira und Bastian Schweinsteiger stehen nach wie vor große Fitness-Fragezeichen. Und Philipp Lahm, der ins Mittelfeld vorrücken könnte, ist ebenfalls noch am Sprunggelenk verletzt.
Der lädierte Kapitän traf immerhin am Freitagabend ebenso im DFB-Quartier in St. Leonhard ein wie der an der Schulter verletzte Torwart Manuel Neuer. Schon mittags konnte der Bundestrainer im Luxusressort den nach Vaterfreuden später angereisten Abwehrchef Per Mertesacker mit einer Umarmung und Glückwünschen zu seinem zweiten Sohn in Empfang nehmen.
Die Abreise von Bender schmerzte auch Löw: „Für Lars tut es mir persönlich sehr leid. Ich weiß, er wollte in Brasilien unbedingt dabei sein.“ Der defensiv vielseitig verwendbare Bender hatte sich im Geheimtraining bei einem Zweikampf eine kombinierte Muskel-Sehnen-Verletzung im oberen Bizepsanteil des rechten Oberschenkels zugezogen, über die der Verband erst am Freitagmorgen informierte. Teamkollege André Schürrle, der vor seinem Wechsel zum FC Chelsea mit Lars Bender bei Bayer 04 Leverkusen zusammengespielt hatte, twitterte traurig: „Alles Gute für Dich mein Freund. Wir werden für Dich kämpfen.“
Die Krankenberichte beherrschen also weiter das Geschehen im deutschen Camp. „Solche Spieler wie Lars braucht der Kader“, bedauerte Torjäger Klose. In der Tat: Bender war zwar kein Topkandidat für die WM-Startelf, aber der 25-Jährige war ein wichtiger Schattenmann für Khedira oder auch Schweinsteiger.
Der Vize-Kapitän kann wegen seiner Knie-Probleme weiterhin nicht am Mannschaftstraining teilnehmen. Auch am dritten Tag in Südtirol übte der 29-Jährige individuell. Der selbst um seine WM-Form kämpfende Klose weiß, dass nicht mehr viel passieren darf. In Brasilien sei eine „verletzungsfreie und fitte Mannschaft“ Voraussetzung, um „ans Limit“ gehen zu können. „Die Südamerikaner sind im Vorteil“, mahnte der 35-Jährige angesichts der speziellen Bedingungen. Klose glaubt, dass er selbst das Hundert-Prozent-Level erreichen wird: „Ich will hier so trainieren, dass kein Weg an mir vorbeiführt.“
Löw muss sich vorerst tatsächlich mehr um die Besetzung des Kraftzentrums im defensiven Mittelfeld sorgen als um den Angriff. Der Münchner Toni Kroos ist rund drei Wochen vor dem ersten WM-Gruppenspiel gegen Portugal die einzige planbare Fixgröße für die zwei Sechser-Positionen in dem bevorzugten 4-2-3-1-System.
Khedira? Schweinsteiger? Lahm? Alle ungewiss. Löw könnte auch auf eine 4-1-4-1-Taktik mit nur einem Sechser umstellen. Er verzichtete nach Benders Ausfall zunächst auf eine Nachnominierung. Löw hatte aber mit dem unerfahrenen, aber besonders laufstarken Gladbacher Christoph Kramer bereits quantitativ vorgesorgt.
Einen Lichtblick erhofft sich Löw am Samstagabend aus Lissabon. Im Estádio da Luz (Stadion des Lichts) könnte Khedira ein halbes Jahr nach seinem Kreuzbandriss im Champions-League-Finale für Real Madrid zum Einsatz kommen - es wäre ein Härtetest auf allerhöchstem Niveau auch im Hinblick auf die WM. „Logisch, dass wir dem Sami die Daumen drücken“, sagte Klose vor dem gemeinsamen Fernsehabend der Nationalmannschaft.
Ein Champions-League-Triumph würde Khedira einen zusätzlichen Schub für das WM-Unternehmen geben - aber auch seinen drei portugiesischen Real-Kollegen Cristiano Ronaldo, Pepe und Fábio Coentrão. „Wenn man das Finale gewinnt, bekommt man die zweite Luft“, bemerkte Klose mit dem Blick auf das WM-Auftaktspiel.