Blatter gegen Platini: Videobeweis Mittel im Machtkampf
Rio de Janeiro (dpa) - Joseph Blatter ist einfach ein Fuchs. Pünktlich am ersten spielfreien WM-Tag meldet der FIFA-Chef sich zu Wort, verkündet seine Idee zur Einführung des Videobeweises - und plaudert noch die vermeintlichen Pläne seines Widersachers für dessen EM-Turnier 2016 aus.
Zwei Wochen war der FIFA-Boss abgetaucht. Und das während der Spektakel-WM in Brasilien. Mit seinem Vorstoß düpiert er UEFA-Chef Michel Platini. Bei Bundestrainer Joachim Löw und DFB-Boss Wolfgang Niersbach hinterließ er aber keinen Eindruck.
„Torlinientechnologie ja, Videobeweis nein“, antwortete Löw am Samstag auf der Pressekonferenz im deutschen WM-Quartier kurz und knapp auf eine entsprechende Frage. Auch Niersbach befürwortet die Blatter-Idee nicht. „Beim Videobeweis wäre ich äußerst skeptisch. Da kann ich nur meine Bitte in Richtung FIFA wiederholen: Dann schafft lieber die Dreifachbestrafung ab, ehe ihr mit neuen Dingen kommt, die in den Gremien überhaupt nicht besprochen worden sind“, sagte der Chef des Deutschen Fußball-Bundes (DFB).
Niersbachs Ablehnung kommt nicht überraschend, ist er doch im internationalen Funktionärszirkel ein wichtiger Unterstützer Platinis. Und der war von Blatter gerade vorgeführt worden. „Ich habe mit UEFA-Präsident Michel Platini gesprochen, er hat mir gesagt, dass er die Goal-Line-Technology bei der Europameisterschaft 2016 einführen wird“, verriet Blatter in einem Interview auf der Internetseite des Fußball-Weltverbandes.
Platinis Wille zu einer Einführung der lange abgelehnten Torlinientechnik entbehrt nicht jeder Grundlage - doch von Blatter sollte sie gewiss nicht ausposaunt werden. „Der Präsident hat offiziell gesagt, dass er eine Einführung bei der EURO 2016 erwägt. Jedoch ist das nicht mit einem Fingerschnipsen zu erledigen. Es wird im Schiedsrichterkomitee diskutiert werden und muss immer noch vom Exekutivkomitee bestätigt werden“, sagte UEFA-Medienchef Pedro Pinto und twitterte kurz darauf noch im Namen Platinis diese Einschätzung.
Das nach dem Blatter-Vorstoß schnell verbreitete Statement ist auch der Versuch eines Seitenhiebs. Soll heißen: In der Gedankenwelt Blatters kann ein Präsident einfach bestimmen, bei der UEFA geht es aber mit rechten Dingen zu - der letzte Hort der Demokratie im Weltfußball. Niersbach erläuterte: „Konkret haben wir bei der UEFA noch nicht darüber gesprochen.“
Längst bestimmen subtile Anfeindungen der Alphatiere Blatter und Platini jede Debatte. Und dabei hat sich Platini noch gar nicht erklärt, ob er in den heißen, aber wohl auch aussichtslosen Wahlkampf gegen Blatter um das FIFA-Präsidentenamt im Mai 2015 ziehen will. Das Sachthema Fußball und Technik hat Blatter jetzt jedenfalls für sich besetzt. Egal, wie Platini reagiert, ob er seine lange kultivierte Haltung gegen jede Technik aufgibt oder ein Bewahrer des Fußball-Purismus bleibt - er hinkt dem FIFA-Boss hinterher.
In den Hintergrund wird dadurch gedrängt, dass Blatter eventuell sogar hehre Ziele haben könnte - nämlich den Fußball ein Stück gerechter zu machen. Das ist mit der Torlinientechnik gelungen, und es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet Platinis Heimat-Team Frankreich durch ein anerkanntes Tor beim 3:0 gegen Honduras als erstes davon profitierte.
Die Technik helfe den Schiedsrichtern, betonte Blatter, der aus dem Torklau-Desaster der WM 2010 gelernt hat. In Südafrika war er es, der nach dem fälschlicherweise aberkannten England-Tor gegen Deutschland (1:4) der Debatte hinterherlief und schließlich gegen seine Ursprungsüberzeugung die Torlinientechnik einführen musste. Jetzt geht Blatter lieber selbst voran. Man müsse bei der technischen Unterstützung der Referees „einen Schritt weiter gehen“, forderte er.
Aus diesem Grund konkretisierte Blatter seine Idee für eine weitere Revolution im Fußball. Der 78-Jährige will Trainern per Videobeweis zwei Einspruchsmöglichkeiten pro Halbzeit gewähren. Einsprüche sollen nur möglich sein, wenn das Spiel bereits unterbrochen sei, erläuterte er. „Wenn es darum geht, ob es ein Elfmeter oder kein Elfmeter war, innerhalb oder außerhalb des Strafraums, ein Foul oder kein Foul, kann der Coach intervenieren.“ Das hatte Blatter im vergangenen Jahr noch kategorisch ausgeschlossen.
Der Unparteiische werde - so Blatters Idee - die Szene auf einem Monitor anhand der TV-Bilder beurteilen. Mit dieser Hilfe für die Referees solle es „mehr Gerechtigkeit“ geben. Das sieht Niersbach anders. „Wie oft erleben wir es, dass wir Szenen in der x-ten Wiederholung im Fernsehen sehen. Und dann ist man sich immer noch nicht einig, war das Foul nun im Strafraum oder außerhalb, war es Abseits oder nicht“, begründete er seine Vorbehalte.