Deutsche Alphatiere im Sturm der Macht und Eitelkeiten
Rio de Janeiro (dpa) - Die erste Sitzung eines DFB-Präsidiums im Land des Rekordweltmeisters Brasilien sollte für die Funktionäre kurz vor dem furiosen WM-Start der Nationalmannschaft gegen Portugal (4:0) nur Beiprogramm unter Palmen sein.
Der Dauerzoff mit Ex-Verbandsboss Theo Zwanziger veranlasste aber zu einem bislang einmaligen Vorstoß, der Beleg ist für schon lange gekränkte Befindlichkeiten und erstaunliche Egoismen. Nebenbei wie unfreiwillig sind die deutschen Fußball-Führungskräfte zudem zu Akteuren in einer Auseinandersetzung auf ganz anderer Ebene geworden - dem Machtkampf um den FIFA-Präsidententhron.
Während sich Franz Beckenbauer mit den neuen FIFA-Ethikhütern einen nicht für möglich gehaltenen und vom internationalen WM-Publikum mit Erstaunen beachteten Kleinkrieg rund um seine 90-Tage-Sperre liefert, sorgen die immer intensiveren Vorwürfe zwischen dem Lager um DFB-Chef Wolfgang Niersbach und dessen Vorgänger Zwanziger für ein nicht minder peinliches Bild der deutschen Fußball-Alphatiere.
Die öffentliche Rücktrittsforderung an Zwanziger als Mitglied des FIFA-Exekutivkomitees ist vorläufiger Kulminationspunkt, aber wohl kaum das Ende des gegenseitigen Konfrontationskurses. Fast schon entschuldigend angesichts des verursachten Wirbels merkte Niersbach an: „Ich empfinde es als zutiefst bedauerlich, dass so kurz vor dem Spiel unserer Mannschaft, auf das sich Millionen Fans freuen, diese absurde Diskussion angezettelt wurde.“
Angezettelt von Zwanziger - wie sich die komplette Führungscrew des Deutschen Fußball-Bundes einig ist. Verursacht durch falsche Schwerpunktsetzung im Verband, meint Zwanziger, der auch zweieinhalb Jahre nach seinem Rücktritt das Kapitel DFB für sich noch nicht abschließen kann.
„Die Scheidung zwischen Niersbach und Zwanziger - sie ist längst vollzogen. Aber auch geschiedene Leute sollten lernen, wieder miteinander statt übereinander zu reden“, kommentierte die „Rhein-Zeitung“ den Disput, der längst mehr als eine Posse ist.
Nach dem tollen WM-Start von Dreifach-Torschütze Thomas Müller und Co. lenkte Niersbach immerhin erstmals seit Wochen ein. „Finito. Jeder, der schreibt und kommentiert hat, das ist ein unnötiger Streit, ja der hat recht. Muss ich auch selbstkritisch sehen“, sagte der DFB-Chef.
Mit kritischen Aussagen über Niersbachs Vergütung hatte Zwanziger in einem Interview der „Rhein-Zeitung“ die Provokationen aus Sicht der DFB-Spitze zu weit getrieben. „Heuchelei“, lautete Zwanzigers jüngster Vorwurf. Niersbach hatte ihn kurz zuvor als einen Mann beschrieben, „der zwei Jahre lang in der Isolation lebte.“
Doch wo nahm die Auseinandersetzung ihren Anfang? Schließlich arbeiteten Zwanziger als Chef und Niersbach als Generalsekretär viele Jahre recht gedeihlich zusammen, trotz oder gerade wegen fundamental unterschiedlicher Prioritäten. Zwanziger, der Patron der Basis, contra Niersbach, dem Strategen des Spitzenfußballs.
Mit seinem spontanen Rücktritt im Dezember 2011 überraschte Zwanziger sein gesamtes Umfeld im DFB. Als er es sich kurz darauf noch einmal anders überlegen wollte, fand er keinen Rückhalt mehr - nicht einmal unter früheren Gefolgsleuten. Dieser Liebesentzug muss ihn nachhaltig gekränkt haben, vermuten Insider in der DFB-Zentrale. Zwanziger zog sich komplett zurück, räumte sein Büro, bevor sein Nachfolger Niersbach im Amt war und setzte keinen Fuß mehr in die Zentrale in Frankfurt. Dort erinnern sich viele nur ungern an die Zeit unter Zwanziger.
Doch als Mitglied der FIFA-Exekutive ist Zwanziger bis Mai 2015 noch der weltweit ranghöchste deutsche Fußball-Repräsentant. In der FIFA hat sich der Jurist zum Vertrauten von Big Boss Joseph Blatter entwickelt - und damit zum natürlichen Gegner von Niersbach, der als Freund von UEFA-Präsident Michel Platini an einer Strategie arbeitet, den Franzosen vom Europa- auf den Weltverbandsthron zu bringen. Der deutsche Funktionärstross ist in dieses Spannungsfeld geraten.
Als möglicher FIFA-Präsident war auch Beckenbauer einst im Gespräch. Doch in den turbulenten Tagen deutscher Fußball-Politik ist er zumindest auf Zeit Persona non grata. Besonders die für FIFA-Kritik und eine Portion Deutschland-Häme empfänglichen englischen Journalisten munkeln in diesen WM-Tagen im Presseraum des legendären Maracanã. Was passiert genau im Zirkel der Fußball-Macht? Ist es Zufall, dass zwei Tage nach der Kaiser-Sperre FIFA-Chef Blatter in einem Bericht von Beckenbauers Medienpartner „Bild am Sonntag“ in Verbindung mit einem russischen Mafia-Boss gebracht wird?
Der Stoff der Story um des Kaisers Reisen nach Katar und wegen bajuwarischer Sprachschwierigkeiten verweigerter Aussagen gegenüber Ex-FBI-Mann und FIFA-Chefermittler Michael Garcia taugt bestens zu Spekulationsgeschichten und Verschwörungstheorien. Dem Imagegewinn deutscher Fußball-Funktionäre sind sie weniger zuträglich.