Letztes Warm-Up: Brasilien holpert auf die Zielgerade
Rio de Janeiro (dpa) - Die Holländer baden, die Deutschen singen, die Mexikaner fahren Taxi - die WM-Teams passen sich schon mal an Brasilien an. Kurz vor dem Anpfiff darf als sicher gelten: Die WM wird stattfinden.
Bis zuletzt wird in Stadien gearbeitet, ein U-Bahn-Streik wurde ausgesetzt.
Brasiliens Sportminister Aldo Rebelo hat in den letzten Monaten wohl eine rekordverdächtige Anzahl von Flugmeilen gesammelt. Unermüdlich tourte er durch die zwölf Spielorte, hetzte von einem Meeting zum anderen, absolvierte zahllose Pressekonferenzen und Interviews. Der Mann muss Kondition haben. Er sieht Brasilien zwei Tage vor dem Anpfiff auf der Zielgeraden, und auch er wiederholt das offizielle Regierungs-Mantra: „Es wird die Weltmeisterschaft der Weltmeisterschaften.“ Nur die Brasilianer müssen noch in WM-Stimmung kommen.
Die Arbeiten im Eröffnungsstadion, der Arena Corinthians, in São Paulo, sind immer noch nicht 100-prozentig abgeschlossen. 300 Arbeiter schuften rund um die Uhr. Aber die Installation der temporären Tribünen für die zusätzlichen 20 000 Sitze sind in der Abschlussphase, versicherte der Minister und fügte hinzu: „Ich sehe keinerlei Risiko, keine Möglichkeit, dass eins der zwölf WM-Stadien seine Funktion nicht erfüllt, wenn die Stunde gekommen ist.“ Dass alles erst auf den letzten Drücker geschieht, ist mittlerweile hinlänglich bekannt. Über die eigentliche Abgabefrist auch für das Eröffnungsstadion redet schon lange niemand mehr. Die lief Ende Dezember 2013 ab.
Die derzeit mächtig erkältete Präsidentin Dilma Rousseff will von schlechter Stimmung nichts wissen. Sie sprach erst vorige Woche von einer „systematischen Kampagne gegen die WM“ und versucht im Gegenzug die unterkühlte Stimmung im Land mit eindringlichen Worten aufzufangen. „Für uns ist Fußball ein Fest des Lebens. Die Liebe unseres Volkes für diesen Sport hat sich in ein Charakteristikum unserer nationalen Identität verwandelt“, schrieb sie in einem Artikel. „Auf dem Spielfeld und außerhalb werden wir vereint sein und eine große Veranstaltung bieten.“
Der Hauptslogan der WM-Gegner war in den vergangenen Monaten „Não vai ter Copa“ (Es wird keine WM geben). Das dürfte als widerlegt gelten. FIFA-Generalsekretär Jérôme Valcke hatte bereits vor Tagen in Anspielung auf das Motto erklärt, dass die WM schon angefangen habe. Ob sich aber die Proteste erledigt haben, darf bezweifelt werden. Vor allem die Bewegung obdachloser Arbeiter kündigte Demonstrationen an.
Auch weitere Streiks sind wahrscheinlich. In São Paulo waren die U-Bahnfahrer fünf Tage im Ausstand und die Schlichtungsgespräche gestalten sich als schwierig. Zwar wurde der Streik vorerst ausgesetzt. Der Ausstand könnte aber am Donnerstag wieder aufgenommen werden, dann droht trotz des deklarierten Feiertages ein neuerliches Verkehrschaos. Doch nicht nur die U-Bahnfahrer streiken. In Rio und São Paulo sind viele Lehrer seit Wochen im Ausstand. Auch viele Museumsangestellten am Zuckerhut legten die Arbeit nieder. Die Kombination aus WM und Medienpräsenz ist für viele Gewerkschaften ein unwiderstehliches Szenario, um Lohnforderungen zu stellen.
Es könnte eine zweigeteilte WM werden. Denn andererseits verstehen es die karnevalbegeisterten Brasilianer zu feiern. In der Finalstadt Rio sind inzwischen viele Straßenzüge über und über mit Girlanden und Wimpeln geschmückt. Und in der ersten Reihe von Rios Copacabana hebt sich an der Avenida Atlântica das Pestana-Hotel ab, das zum offiziellen PR-Hotel eines WM-Sponsors (Budweiser) auserkoren wurde. Die Fassade schmückt ein meterhoher Bildschirm vom Format XXL und auf der Dachterrasse mit Pool und Panorama-Blick blinkt es rot und weiß in Rios nächtlichen Himmel. Ebenfalls an der Copacabana direkt am Strand liegt die Fan-Meile.
„Die Idee ist, das Beste vom Land zu zeigen“, erklärte Minister Rebelo den Journalisten im überfüllten Auditorium in Rios offenem Medienzentrum. Soweit die Theorie. Viele Reporter konnten wegen des Platzmangels aber erst gar nicht in den Raum und mussten draußen warten. Wer nach dem Startschuss im Medienzentrum arbeiten wollte, erlebten eine Überraschung. Die Internetverbindung brach schon eine halbe Stunde nach Eröffnung zusammen. „Es ist noch nicht absehbar, wann die Verbindung wieder steht“, informiert eine der Mitarbeiterinnen des Pressestabes und fügt mit einem charmanten Lächeln hinzu: „Morgen aber ganz bestimmt.“