Scolari rechtfertigt sich - Rücktritt kein Thema
Belo Horizonte (dpa) - Am Tag danach war Luiz Felipe Scolari wieder fast der Alte. In einer 50-minütigen Pressekonferenz im Trainingscamp in Teresópolis verteidigte Brasiliens Nationaltrainer zusammen mit dem Technischen Direktor Carlos Alberto Parreira wortreich seine Arbeit.
Der dritte Platz sei nach dem 1:7-Debakel gegen Deutschland der neue „Traum“ des WM-Gastgebers. Und seine Zukunft? „Das geht mir gerade nicht in meinem Kopf herum“, sagte der 65-Jährige am Mittwoch auf die Frage, ob er weitermachen werde mit der Seleção. „Wir hatten sechs Minuten einen totalen Kurzschluss. Aber vergesst nicht, dass Brasilien erstmals seit 2002 wieder in einem Halbfinale stand.“
Am Abend zuvor in Belo Horizonte hatte Scolari rot geränderte und feuchte Augen, wahrte aber die Fassung - und zeigte Größe. „Das ist die schlimmste Niederlage aller Zeiten. Das Ergebnis fällt auf mich zurück, ich bin der Verantwortliche“, sagte er nach dem Halbfinal-Desaster unverblümt. Und ergänzte: „Dem brasilianischen Volk möchte ich sagen: Bitte entschuldigt diese Niederlage!“
Ein Rücktritt war kein Thema für Scolari, dessen Vertrag nach der WM ohnehin endet. Stattdessen versammelte er in Teresópolis seinen kompletten technischen Stab neben sich auf dem Podium und rechtfertigte sich ausführlich. Man habe noch einen Vertrag mit dem Brasilianischen Fußball-Verband (CBF), sagte Scolari. Nach dem Spiel am Samstag in Brasília werde man dann die Arbeit der vergangenen eineinhalb Jahre der Führung darstellen.
Unter der Funktionärsriege werden allerdings schon die Messer gewetzt. Scolari wird nach Angaben des künftigen Verbands-Vizepräsidenten Delfim Peixoto „nie mehr“ Brasiliens Nationaltrainer werden. „Alles war schlecht. Ich möchte nicht darüber sprechen, um nichts Dummes zu sagen, aber eines kann ich versichern: Nie wieder wird Felipão mit einer brasilianischen Auswahl zusammen sein. Er wird nie wieder zurückkehren. Er ist eine Last, eine Schande“, schimpft der Funktionär dem TV-Sender ESPN Brasil.
Peixoto gehört zur Gefolgschaft von Marco Polo del Nero, der im kommenden April als CBF-Präsident die Nachfolge von José Maria Marin antritt. Marin wiederum, so Scolari, habe ihm noch 15 Minuten nach der Demütigung in der Kabine erklärt, er habe volles Vertrauen in die Mannschaft und das Betreuerteam.
Derweil brachte die Sportzeitung „Lance!“ zwei Kandidaten als mögliche Scolari-Nachfolger ins Gespräch: Adenor Bacci (zuletzt Corinthians São Paulo) und Alexandre Gallo, der bereits zum Trainerstab der Seleção gehört.
Scolari hatte in seiner blauen Trainingsjacke selten so verloren ausgesehen am Spielfeldrand wie im Estádio Mineirão, als seine Mannschaft mit 1:7 unterging. Nach dem Abpfiff wurde er sogar von deutschen Spielern wie Bastian Schweinsteiger getröstet, und schon in diesem Moment wusste „Felipão“, der „große Felipe“, genau, was die Brasilianer künftig mit seinem Namen verbinden würden: Den WM-Triumph von 2002, natürlich, aber jetzt erstmal für vielleicht viele Jahre das „Mineiraço“ von Belo Horizonte, das nun neben dem „Maracanaço“ einen Platz in der Historie des fußballverrücktesten Landes der Welt hat.
Vergleichbar mit dieser Pleite wird nur die WM 1950 sein, als Brasilien mit dem 1:2 gegen Uruguay in der letzten Partie zu Hause den Titel verspielte. „Vielleicht wird es in die Geschichte eingehen, dass ich die schlimmste Niederlage für Brasilien zu verantworten habe“, erklärte Scolari. „Es war eine fürchterliche, eine katastrophale Niederlage, die schlimmste Niederlage aller Zeiten. Aber wir müssen lernen, damit umzugehen.“
Die Superlative für das Desaster lieferte der Chefcoach selbst, wohlwissend in diesem Moment, dass in den nächsten Tagen einiges auf ihn und sein Team einprasseln wird. Eine große Erklärung suchte er erst gar nicht. Nach dem frühen 0:1 und dann vier Toren in sieben Minuten - „da hatten wir die Kontrolle verloren“.
Statt 200 Millionen Brasilianern den Traum vom sechsten WM-Titel, vom „Hexacampeão“, zu erfüllen, geriet der Abend zu einem einzigen Alptraum für den WM-Gastgeber. „Wenn ich zurückblicke auf mein Leben als Fußballspieler, als Trainer und als Sportlehrer, dann war das heute der schlimmste Tag meines Lebens.“
So bleibt Vittorio Pozzo, der 1934 und 1938 mit Italien triumphierte, weiter der einzige Chefcoach, der zweimal mit einer Mannschaft Weltmeister wurde. Eineinhalb Jahre hatte Scolari standhaft und humorvoll die enormen Erwartungen Brasiliens für die Heim-WM getragen, einmal sogar im Scherz gesagt: „Wer war der letzte Trainer, der mit Brasilien die Weltmeisterschaft gewonnen hat? Ich. Wenn ich die WM diesmal nicht gewinne, dann werde das noch immer ich sein.“
Auch wenn Brasilien am Samstag in Brasília noch um den dritten Platz spielt: Scolaris Mission ist beendet. „Felipão“ betonte schon direkt nach dem 1:7: „Das Leben geht weiter, auch mein Leben geht weiter.“