WM-Quartier Watutinki statt Palmenoase - Deutschland sucht Rückzugsort

Moskau (dpa) - Sotschi oder Moskau - Paradies oder Pragmatismus? Vor dieser Frage stand die deutsche Fußball-Nationalmannschaft bei der Wahl ihres WM-Quartiers. Durchgesetzt hat sich: der Pragmatismus.

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Verlockend waren für das DFB-Team beim Confederations Cup vergangenen Sommer der Strand und der Sonnenschein im Ferienort Sotschi am Schwarzen Meer. Das edle Resort an der Strandpromenade war mondän und modern. Das Stadion lag in Sichtweite; ein Privatstrand lud die späteren Turnier-Sieger zur Zerstreuung ein. Es war Fußball unter Palmen. Bei der Weltmeisterschaft vom 14. Juni bis 15. Juli gelten andere Maßstäbe. „Wir haben doch auch unsere Vernunft eingeschaltet“, begründete Bundestrainer Joachim Löw die Entscheidung für Moskau.

Das Team-Hotel Watutinki liegt am Rande der gleichnamigen Ortschaft im Südwesten der Hauptstadt. 35 Kilometer sind es bis zum Luschniki-Stadion, wo Deutschland sein erstes Spiel gegen Mexiko bestreiten wird und auf eine Titelverteidigung im Finale hofft. Der Flughafen Wnukowo ist 30 Kilometer entfernt und zur Trainingsanlage des russischen Erstligisten ZSKA Moskau ist es eine fünfminütige Fahrt.

Auf die kurzen Wege und gute Infrastruktur der Hauptstadt setzen 10 der 32 WM-Teilnehmer. Top-Teams wie Argentinien, Frankreich und Portugal haben sich hier eingebucht. Lediglich Rekordweltmeister Brasilien und Polen entschieden sich für das subtropische Klima der Russischen Riviera in Sotschi. Zudem beziehen Schweden und Island in Gelendschik nördlich von Sotschi an der Schwarzmeerküste Quartier.

Zum Politikum schaukelte sich indes die Quartierwahl der ägyptischen Nationalmannschaft hoch. Die Kicker vom Nil wohnen in Grosny, der Hauptstadt der islamisch geprägten Teilrepublik Tschetschenien im Nordkaukasus. Der autoritären Führung in Grosny wird vorgeworfen, Bürgerrechte mit Füßen zu treten. Internationale Gruppen riefen die FIFA deshalb auf, Grosny von der Liste der WM-Quartiere zu streichen. Tschetscheniens Machthaber Ramsan Kadyrow empörte sich darüber, die Vorwürfe seien „aus den Fingern gesogen“. Tschetschenien sei einer der sichersten Orte der Welt, meinte er.

Solchen Trubel will der DFB bei der WM meiden. Abgelegen in einem Wäldchen und mit öffentlichen Verkehrsmitteln kaum erreichbar, soll der Spa-Komplex für Löw und sein Team ein Ruhepol zwischen den Spielen werden. „In Moskau können wir bei besten Trainingsbedingungen konzentriert arbeiten und finden in dem ruhig gelegenen Quartier auch gute Möglichkeiten zu regenerieren“, sagte Löw dazu. Team-Manager Oliver Bierhoff sagte der Agentur Tass über die Hotel-Wahl, manche Mannschaften suchten einen lebhaften Ort. Deutschland wolle hingegen, dass die Spieler so wenig Aufmerksamkeit wie möglich bekommen.

Die Hotelleitung in Watutinki stützt diese Linie. Eine Führung durch die Anlage lehnt sie ab. Der DFB teilt auf Anfrage mit: „Leider müssen wir Sie enttäuschen. Das Mannschaftsquartier soll in den Wochen der WM ein Rückzugsort für die Spieler sein, daher bitten wir um Verständnis, dass wir keine Besichtigungen vorsehen und keine weiteren Informationen hierzu anbieten können.“

Fotos im Internet zeigen blank polierten Marmor in der Lobby und schwere dunkle Holzmöbel auf den Zimmern - edler, postsowjetischer Hotel-Schick eben und etwas weniger modern als beim Confed Cup in Sotschi. Menschen, die schon einmal in Watutinki übernachtet haben, schwärmen vom riesigen Schwimmbad.

Für Löw und Co. sollte noch ein ganz neuer Hoteltrakt hochgezogen werden. Allein, die Arbeiten waren wenige Wochen vor Anpfiff der WM noch nicht abgeschlossen.

DFB-Präsident Reinhard Grindel sah das bei einem Besuch in Moskau Anfang Mai gelassen. „Es gehört zu den Usancen im DFB, dass sich der Präsident um diese operativen Fragen nicht im Einzelnen kümmert“, sagte Grindel. „Er kloppt keine Steine, und er sorgt nicht für die Inneneinrichtung, sondern er informiert sich, wie die Vorbereitungen laufen.“ Er habe aber größtes Vertrauen, dass die Rahmenbedingungen für die Mannschaft stimmen werden.

Bayerns Verbandschef Rainer Koch, der Grindel nach Moskau begleitete, sieht in den Bauarbeiten aber ein gutes Omen. Auch bei der WM 2014 in Brasilien sei noch bis zur letzten Minute am Team-Hotel gewerkelt worden. „Wir sind dann Weltmeister geworden. Wenn das diesmal wieder so ist, können wir mit guten Aussichten nach Watutinki fahren.“