Kein Glaube an EM-Wunder - Heubergers Zukunft offen
Podgorica (dpa) - Wie gelähmt saßen die DHB-Spieler in den Katakomben der Moraca-Arena in Podgorica, während draußen die montenegrinischen Fans die EM-Qualifikation ihrer Mannschaft mit einem Hupkonzert feierten.
Der deutsche Handball lag am Mittwochabend in einer Schockstarre, Spieler und Trainer Martin Heuberger konnten die fatale 25:27-Niederlage im EM-Qualifikationsspiel gegen Montenegro nicht fassen und rangen um Worte. Nach dem Verpassen der Olympischen Spiele 2012 in London droht erstmals seit Einführung der EM 1994 auch ein Kontinental-Turnier ohne die Deutschen über die Bühne zu gehen.
Die historische Dimension dieses Debakels war allen Beteiligten schlagartig bewusst. „Wunder soll es immer geben, aber wir haben es nicht mehr in der Hand. Wenn wir es noch schaffen sollten, wäre das eine Sensation. Die Welt geht nicht unter, aber es wäre schon unendlich bitter, wenn wir nicht bei der EM 2014 in Dänemark dabei wären“, sagte Kapitän Oliver Roggisch.
Nachdem zuvor Tschechien mit 30:24 in Israel gewonnen hatte, ist Deutschland nur noch Dritter in der Gruppe 2. Nur der Erste und Zweite qualifizieren sich für die EM im Januar. Die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) muss nicht nur am Samstag gegen Israel gewinnen, sondern ist auch auf Schützenhilfe der Montenegriner angewiesen. Gewinnt das Balkan-Team parallel nicht in Tschechien, findet die EM ohne Deutschland statt. „Ich muss erstmal das Spiel verarbeiten, bevor ich mir Gedanken um ein mögliches Wunder machen kann“, sagte der sichtlich geknickte Heuberger.
Im Juli 2011 wurde der langjährige und erfolgreiche Juniorentrainer Nachfolger von Heiner Brand als Bundestrainer. Sein Vertrag läuft bis 2014. Aber nach der Blamage von Podgorica kamen schon Fragen nach der Zukunft des Schwarzwälders auf. „Ich habe noch sehr viel Spaß mit dieser jungen Mannschaft. Ich will weiter für den Umbruch mit Talenten sorgen, denen in Montenegro sichtlich die Abgebrühtheit fehlte. Ich will etwas aufbauen. Aber ob man mich lässt, weiß ich nicht. Der Vertrag liegt nicht in meiner Macht“, meinte der Bundestrainer.
Derweil offenbarte sich im fernen Podgorica ein weiteres Dilemma. Der DHB steckt in einem Macht-Vakuum. Über Heubergers Anstellung entscheidet das DHB-Präsidium. Beim Bundestag im September treten der derzeitige Präsident Ulrich Strombach sowie die Vizepräsidenten Horst Bredemeier und Heinz Winden nicht mehr an. „Das aktuelle Präsidium wird sicherlich keine Trainer-Entscheidung mehr treffen. Das müssen unsere Nachfolger besprechen“, sagte Bredemeier. „Fakt ist, dass Martin Heuberger einen Vertrag bis 2014 hat. Aber klar ist auch, dass wir uns nun aller Kritik stellen müssen. Schließlich ist es immer unser Anspruch gewesen, an einer EM teilzunehmen.“
Der designierte DHB-Präsident Bernhard Bauer hat unterdessen Zweifel an der Zukunft von Heuberger geäußert. „Eine Jobgarantie gibt es für niemanden“, sagte Bauer den „Stuttgarter Nachrichten“ (Freitagausgabe). „Grundsätzlich gilt, dass der deutsche Handball bei den Männern und den Frauen bei großen Turnieren unter den besten vier Teams sein muss. Das muss auch der Maßstab für den Trainer sein. Ich bin bereit dazu, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen.“ Bauer soll beim DHB-Bundestag zum Nachfolger Strombachs gewählt werden.
Für Bob Hanning, der als Vizepräsident Leistungssport kandidiert, geht der sportliche Abstieg nach dem WM-Sieg 2007 einher mit der Personalpolitik vieler Bundesligaclubs. Obwohl der deutsche Nachwuchs zuletzt mehrfach bei Großereignissen Gold holte, kommen die Talente in der Eliteklasse kaum zum Zug. Vom Champions-League-Sieger Hamburg war in Montenegro kein Spieler dabei, vom Double-Gewinner Kiel waren es lediglich zwei.
„Es fehlt an Klasse und auch am Mut der Vereine, letzten Endes auch mal ein Spiel verlieren zu können. Es ist immer sehr schwierig zu sagen, wir wollen den Nachwuchs fördern, aber gleichzeitig den Erfolg erwarten, den man vielleicht hat, wenn man ausschließlich mit Weltklassespielern arbeitet“, meinte der Geschäftsführer der Füchse Berlin am Donnerstag im ZDF-Morgenmagazin: „Wir reden immer, wir haben eine junge Nationalmannschaft, nein haben wir eigentlich gar nicht. Wir haben viele sehr unerfahrene Spieler, die mit 24, 25 ihre ersten Länderspiele machen. Da müssen wir viel mutiger sein.“
Sollte das rein rechnerisch mögliche Wunder ausbleiben und Deutschland erstmals eine EM-Endrunde verpassen, hätte das neben dem riesigen Imageschaden auch weitreichende sportliche Konsequenzen: Erstmals müsste die DHB-Auswahl von November bis Januar eine Vorqualifikation für die WM 2015 in Katar spielen. Nur die Gruppensieger qualifizieren sich für die neun Playoff-Spiele im Juni 2014. Und alle Nicht-EM-Teilnehmer dieser Ausscheidungsspiele finden sich bei der Auslosung im Januar in Topf 2 wieder, treffen definitiv auf einen Top-Gegner aus dem Feld der EM-Vierten bis EM-Zwölften.