Hanning: „Genau der Richtige“ Prokop führt Bad Boys nach Tokio - Dagur sagt Sayonara
Leipzig (dpa) - Dagur Sigurdsson schwelgte noch einmal in Erinnerungen, sein Nachfolger Christian Prokop stand in unmittelbarer Nähe und applaudierte respektvoll. Der oft als Eisberg bezeichnete Isländer Sigurdsson klatschte jeden seiner Jungs noch einmal ab.
Als Abschiedsgeschenk bekam er einen Club-Urlaub geschenkt. Mit Jeans und lässigem Hemd legte er ein Dauergrinsen auf und wurde von seinen Bad Boys noch einmal gefeiert. Große Gefühle waren beim Isländer eh nicht erwartet worden. Dennoch bereiteten 7000 Fans in der Arena Leipzig dem 43-Jährigen einen würdigen Abschied, ehe die besten Handballer der stärksten Liga der Welt noch einmal zauberten.
„Ich schaue mir das Spiel heute wie ein Zuschauer an, aber natürlich bin ich auch ein bisschen traurig“, sagte Sigurdsson und bilanzierte kurz: „Einen Titel mit einem solchen Handballtraditionsland zu holen, es gibt nichts Schöneres. Diese Mannschaft in der Hand zu haben, war eine Riesen-Ehre.“
Nun soll Prokop die deutschen Handballer 2020 in Tokio zu Olympia-Gold führen. Der Coach des Bundesligisten SC DHfK Leipzig erhält beim Deutschen Handballbund (DHB) einen Fünfjahresvertrag. „Unsere Nationalmannschaft ist mit großen Zielen unterwegs. Ich freue mich darauf, diesen Weg mitgestalten zu können“, sagte Prokop.
Nach langen und zähen Verhandlungen präsentierte der DHB den 38-Jährigen. „Wir bekommen für unsere Nationalmannschaft einen jungen und modernen Trainer, der den Willen zur Entwicklung lebt. Prokop und das Potenzial des deutschen Handballs - das passt. Ich freue mich auf die Impulse, die unser neuer Bundestrainer der Nationalmannschaft geben wird“, sagte DHB-Vizepräsident Bob Hanning.
Über drei Monate wurde zwischen dem Verband und Leipzig verhandelt. Das Ergebnis: Prokop wird den Posten offiziell am 1. Juli antreten, soll die DHB-Auswahl aber schon Mitte Juni in den letzten beiden EM-Qualifikationsspielen gegen die Schweiz und Portugal betreuen. „Wir sind glücklich, dass es nun doch schneller gegangen ist“, sagte Hanning.
Der DHB setzt große Hoffnungen in den Shootingstar der Branche, der 2015 zum Trainer des Jahres gewählt wurde. „Ich habe immer gesagt, Dagur Sigurdsson hat die Eisenbahn auf die Gleise gesetzt. Der DHB hat die Häuser drumherum gebaut, die Bundesliga die Bahnhöfe. Jetzt geht es darum, die einzelnen Dinge zu verbinden. Christian ist genau der Trainer, dem wir das zutrauen“, erklärte Hanning.
„Er ist mit Sicherheit einer der talentiertesten deutschen Trainer und ich traue ihm zu, die deutsche Nationalmannschaft erfolgreich weiterzuführen“, sagte der ehemalige Weltklasse-Linksaußen und TV-Experte Stefan Kretzschmar der Deutschen Presse-Agentur. Der DHfK-Aufsichtsrat betonte aber auch: „Für uns Leipziger ist es natürlich ein Verlust, weil es mehr als eine Arbeitsbeziehung war. Doch wir haben uns zusammengesetzt, weil es sein großer Wunsch war.“
Nach dpa-Informationen kassieren die Leipziger vom DHB eine Ablöse von einer halben Million Euro, da Prokop noch einen Vertrag bis 2021 besaß. Allerdings lässt der Verband im Gegenzug Leipzigs Wunschkandidaten auf die Prokop-Nachfolge wohl nicht gehen. Michael Biegler erhält vorerst keine Freigabe und wird die Frauen-Nationalmannschaft wie geplant bei der Heim-WM Ende Dezember in Deutschland als Bundestrainer betreuen.
Biegler sollte nach DHfK-Vorstellungen bereits am 1. Juli beim Bundesligisten anfangen und die DHB-Frauen in Doppelfunktion bis Jahresende betreuen. Doch der Verband will beim Prestigeprojekt kein Risiko eingehen, die Verhandlungen laufen noch.
Nach dem EM-Titel und Olympia-Bronze unter Vorgänger Sigurdsson sind die Erwartungen an den vergleichsweise unerfahrenen Prokop enorm hoch. Der Verband strebt neben dem Titel bei der Heim-WM 2019 auch Olympia-Gold 2020 in Tokio an. Der neue Bundestrainer wird aber dank Sigurdsson auf ein breites Repertoire an jungen, hoch qualifizierten Spielern zurückgreifen können.
Prokop galt von Anfang an als Wunschkandidat. Der ehemalige Rückraumspieler, der seine aktive Karriere schon im Alter von 22 Jahren wegen eines Knorpelschadens im Knie aufgeben musste, gilt als penibler Analytiker, der seine Gegner bis ins letzte Detail beleuchtet und ein klares Konzept verfolgt. „Mit Christian Prokop haben wir unseren Wunschkandidaten für eine der wichtigsten Positionen im Deutschen Handballbund verpflichtet. Das erklärte Ziel ist und bleibt der Olympiasieg 2020 in Tokio“, sagte DHB-Präsident Andreas Michelmann.