THW Kiel Dauermeister und Tresen-Kämpfer
Kiel (dpa) - Nach der verhassten Bierdusche klebte dem Kieler Meister-Trainer Alfred Gislason das schwarze Polo-Shirt unangenehm am Körper. Angesichts des vorzeitigen Titelgewinns in der Handball-Bundesliga ließ der Isländer aber überraschende Milde walten.
„Die Mannschaft hat einen Tag trainingsfrei“, verkündete der 53-Jährige lächelnd. Gerade hatte sein Team den Tabellenzweiten Rhein-Neckar Löwen mit 31:25 degradiert und den 18. Meistertitel der Vereinsgeschichte mit unersättlicher Gier an sich gerissen. Die für ihn bedrohlich wirkende Vokabel Party kam Gislason aber auch diesmal nicht über die Lippen. „Das heißt individuelles Auslaufen“, benannte der Coach das, was die Spieler nach dem Triumph vollbringen sollten.
'Lass den Alten mal reden', dachten die Profis wohl und schmiedeten ihre eigenen Pläne. „Das ist Krafttraining am Tresen“, beschrieb Rückraumschütze Filip Jicha das Übungsprogramm für die nächsten Stunden. Der Tscheche hatte seinem Coach justament in dem Moment ein Magnum-Glas Bier über den Kopf geschüttet, als der ahnungs - und wehrlose Gislason Fragen der Fernsehreporterin beantworten musste. In kleiner Runde lediglich mit Partnerinnen verabschiedeten sich die Spieler in die Nacht. Ob das Krafttraining am Schanktisch bis zum Morgengrauen andauerte, ist nicht überliefert.
So logisch und unausweichlich es scheinen mag, ist der erneute Titelgewinn des THW in dieser Saison keineswegs. „Wir hatten sehr schwere Phasen nach dem Umbruch“, bekannte Gislason, der gleich fünf neue Spieler (Marko Vujin, Gudjon Sigurdsson, Niclas Ekberg, Rene Toft Hansen, Patrick Wiencek) einbauen musste. „Das dauert. Vielleicht sogar ein Jahr und länger“, erklärte der Chef. „Im Dezember haben wir schlechte Spiele gemacht und vier Punkte gelassen. Da hat man uns abgeschrieben und von Wachablösung gesprochen. Jetzt sind wir Meister.“ Das wunderte auch Linksaußen Dominik Klein: „Mit fünf Neuzugängen so die Liga zu beherrschen, das hat uns keiner zugetraut.“
Im Vorjahr ging der THW mit 68:0 Punkten durchs Ziel. Diesmal stehen bislang sieben Minuszähler zu Buche. „Wir wussten, dass wir so eine Saison wie zuletzt nicht wiederholen können“, meinte Jicha. Doch deswegen keine Trauer. „Ist doch auch ein gutes Ergebnis“, zollte Gislason seinen Mannen Anerkennung. Der in seinem Ehrgeiz stets sympathisch gebliebene Handballfachmann versäumte nicht, seine Einstellung kundzutun: „Ich bin der lockerste Trainer der Welt - solange wir gewinnen.“
Noch ist der Hunger der Kieler, die auch den DHB-Pokal holten, nicht gestillt. In 16 Tagen wird das Finalturnier in der Champions League gespielt. „Den Titel wollen wir auch noch“, beteuerte Jicha. Es wäre das zweite Triple des THW nacheinander. Das hat bislang nur der FC Barcelona fertiggebracht (1997, 1998).
Die Akkus sind trotz der Belastungen nicht leer. „Die Mannschaft hat eine innere Kraft, aus der sie schöpft“, befand Jicha. Wer denkt, die ausstehenden drei Bundesligaspiele wird der THW mit seinem Nachwuchsteam bestreiten, irrt gewaltig. Sechs Tage vor dem Final4 in Köln steht die Auswärtspartie bei der MT Melsungen an. „Wir wollen den Melsungern zurückgeben, was sie uns angetan haben“, lautete Kleins bedrohliche Kampfansage. Die Nordhessen hatten sich vor fünf Monaten erlaubt, in Kiel mit 29:25 zu gewinnen.