Ziel: Olympia 2020 Trotz WM-Alptraum: DHB hält an Gold-Projekt fest
Paris (dpa) - Schon im Morgengrauen verließen die frustrierten Bad Boys die Stätte ihres WM-Alptraums. Während die deutschen Handballer die unerwartet frühe Heimreise aus Paris antraten, plante DHB-Vizepräsident Bob Hanning bereits die Zukunft.
„Der Verarbeitungsprozess ist zielorientiert in Gang gekommen. Auch wenn es verwundert - ich habe relativ gut geschlafen und bin gar nicht so unzufrieden“, sagte Hanning am Montag.
Dringlichster Punkt auf seiner Agenda ist die Suche nach einem neuen Bundestrainer, der das Gold-Projekt für Olympia 2020 nach dem schmerzhaften Abschied von Dagur Sigurdsson fortführen soll. „Damit werden wir uns jetzt intensiver beschäftigen, nachdem die WM für uns gelaufen ist“, meinte Hanning vor der Abreise. „Es soll nicht mehr ganz so lange dauern“, antwortete er in einem Interview des TV-Senders Sky auf die Frage, wie lange es noch dauere, bis Sigurdssons Nachfolger präsentiert werde.
Trainer-Shootingstar Christian Prokop ist der erklärte Wunschkandidat des Verbandes, Weltmeister Markus Baur eine starke Alternative. Denn noch hat sich der DHB mit dem Bundesligisten SC DHfK Leipzig, wo Prokop bis 2021 unter Vertrag steht, nicht über die Höhe der Ablösesumme einigen können. „Wir sind noch in Verhandlungen, haben aber in dieser Angelegenheit eine Schmerzgrenze“, sagte DHB-Präsident Andreas Michelmann jüngst in einem Interview der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“.
Egal, wer den Zuschlag erhält: Der neue Mann soll den eingeschlagenen Weg konsequent weitergehen und die DHB-Auswahl dauerhaft in der Weltspitze etablieren. „Wir müssen aus den jüngsten Erlebnissen lernen - dann werden wir sowohl bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio als auch bereits 2019 bei der gemeinsam mit Dänemark auszurichtenden Weltmeisterschaft erfolgreich sein. Davon bin ich überzeugt“, sagte Hanning. Nächstes Ziel ist zuvor die erfolgreiche Titelverteidigung bei der EM 2018 in Kroatien.
Spätestens bis zum 1. Juli soll die Sigurdsson-Nachfolge geregelt sein. „Wir werden uns jetzt in aller Ruhe hinsetzen, wir haben keine Eile“, sagte Hanning. Den herben Rückschlag nahm er - zumindest äußerlich - relativ gelassen hin. „Ich habe immer gesagt, dass wir Zeit brauchen, etwas Großes aufzubauen. Dabei haben wir jetzt schon eine olympische Bronzemedaille und EM-Gold geholt. Von daher ist der Schnitt nicht so verkehrt“, sagte er und verwies auf die Erfolge des Vorjahres.
Zunächst muss das junge Team aber erst einmal die Enttäuschung über das Aus im WM-Achtelfinale verarbeiten. Denn die 20:21-Pleite gegen Katar hinterließ bei den vor einem Jahr als Europameister gefeierten Bad Boys tiefe Spuren. „Ich bin gnadenlos enttäuscht. Wir hatten uns vorgenommen, Weltmeister zu werden“, redete Torhüter Andreas Wolff Klartext. Rückraumspieler Paul Drux beschrieb die Stimmungslage mit drastischen Worten: „Das ist ein total beschissenes Gefühl.“
Auch Bundestrainer Sigurdsson war nach dem vorzeitigen Ende seiner Erfolgsära am Boden. „Es ist mit Abstand die größte Enttäuschung. Natürlich hätten wir uns alle mehr vorgestellt“, meinte der Isländer. Seine private Zukunft liegt in der Heimat, seine sportliche in Japan.
Auch wenn das Werk des 43-Jährigen unvollendet blieb, möchte der DHB dem scheidenden Coach einen feierlichen Abschied bereiten. „Es ist denkbar, dass Dagur beim Allstar Game verabschiedet wird“, sagte Hanning der Deutschen Presse-Agentur. Dabei trifft die Nationalmannschaft am 3. Februar in Leipzig auf eine Bundesliga-Auswahl.
Wie bei den meisten Experten löste der Rückschlag in der Liga zwar Traurigkeit, aber keine Resignation aus. „Das ist eine Niederlage, aber kein Rückschritt“, sagte Uwe Schwenker, Präsident der Handball-Bundesliga.
Ähnlich bewertete Ex-Bundestrainer Heiner Brand die Situation: „Das ist im Augenblick natürlich sehr schade. Aber ich sehe dennoch überragende Möglichkeiten. Die Mannschaft ist so gut aufgestellt und hat Perspektive“, sagte der Weltmeister-Trainer von 2007. Lediglich der frühere Weltklassespieler Stefan Kretzschmar befürchtet einen Dämpfer für den deutschen Handball. „Dieser Boom und diese Euphorie sind erst mal vorbei“, sagte er im NDR-Sportclub.
Für die Mannschaft heißt es jetzt aufstehen und weitermachen. „Wenn wir auf dem Spielfeld Bad Boys sein wollen, dann müssen wir das auch immer schaffen - und nicht nur ab und zu. Aber bei aller Kritik und allem Analysebedarf bleibt eine weiterhin positive Grundsituation“, sagte Hanning. Und so blickte auch Torhüter Wolff zum Abschied zuversichtlich in die Zukunft: „In zwei Jahren haben wir wieder die Chance, Weltmeister zu werden. Da haben wir das Publikum im Rücken.“