Bolt bleibt auch nach Niederlage gegen Gatlin cool
Rom (dpa) - Seinen Sinn für große Gesten hat sich Usain Bolt auch im Moment der unerwarteten Niederlage bewahrt. Zur Pressekonferenz nach dem verlorenen 100-Meter-Rennen gegen Justin Gatlin in Rom erschien der Superstar aus Jamaika im Trikot der italienischen Fußball-Nationalmannschaft.
Bolt war angefressen, das spürte jeder, aber rein äußerlich gab sich der Weltrekordhalter und Olympiasieger auch nach der erst dritten Niederlage in knapp fünf Jahren über diese Strecke cool. „Die Saison ist noch sehr jung. Ich habe noch genug Zeit bis zur WM“, sagte Bolt. „Ich werde mir jetzt das Video von dem Lauf angucken und dann sehen, woran ich noch arbeiten muss.“
Zwei Plätze weiter auf dem Podium saß der große Sieger aus den USA und gab sich nicht bloß cool, sondern fast schon gleichgültig. Der ehemalige Olympiasieger, Dopingsünder und jetzt auch Bolt-Bezwinger Gatlin tat so, als hätte er gerade ein Studentenrennen in seiner Heimatstadt New York gewonnen und nicht seiner ohnehin schon filmreifen Karriere eine weitere Episode hinzugefügt. „Nein, ich lächele nicht“, sagte der 31-Jährige. „Ich denke nicht darüber nach, wer neben mir läuft, sondern konzentriere mich auf meine Zeit.“
Erst auf die dritte Nachfrage hin wurde Gatlin dann doch noch pathetisch: „Es ist eine Ehre, gegen ihn (Bolt) zu laufen. Er ist eine Legende. Er hat auch mich dazu inspiriert, ein besserer Athlet und ein besserer Entertainer für das Publikum zu werden. Aber es ist erst der Anfang einer langen Saison - und das gilt für uns alle.“
Was Bolt und Gatlin gleichermaßen ausdrücken wollten: Wirklich ernst wird es erst bei der WM im August in Moskau. Aber trotzdem: Niederlagen von Usain Bolt sind immer etwas Besonderes, weil sie ungefähr so selten vorkommen wie Schnee in Rom. Vor einem Jahr verlor der 26-Jährige bei den jamaikanischen Trials über 100 und 200 Meter gegen Yohan Blake. 2011 wurde er bei der WM in Daegu wegen eines Fehlstarts disqualifiziert. Richtig besiegt wurde er auf internationalem Niveau zuletzt am 6. August 2010 (100 m) von Tyson Gay (USA) und am 22. Juli 2008 (100 m) von Asafa Powell (Jamaika).
Bei der jüngsten Niederlage kam noch etwas anderes hinzu: Die völlig gegensätzliche Rollenverteilung in der Glamourwelt des Sprints. Auf der einen Seite der große Superstar, Publikumsliebling und Werbeträger Bolt (9,95 Sekunden in Rom) - und auf der anderen der ehemalige Dopingsünder Gatlin (9,94).
Dessen Weltrekord von 2006 (9,77) wurde ihm wieder aberkannt, weil er im selben Jahr zum zweiten Mal in seiner Karriere positiv getestet wurde. Dass der Amerikaner nicht lebenslang sondern nur für acht Jahre gesperrt wurde und vor Gericht sogar eine Halbierung dieser Strafe erwirkte, sorgte für viel Kopfschütteln. Zum berühmten Meeting in Zürich wird Gatlin nicht mehr eingeladen. Die meisten anderen Veranstalter aber haben mit seiner Geschichte kein Problem.
So konnte er sich seit seinem Comeback 2010 vom zunächst nicht ganz ernst genommenen Sprint-Opa zum Olympia-Dritten 2012 bis zum bislang dominierenden Mann dieser Saison zurückkämpfen. Denn vor seinem Sieg in Rom gewann Gatlin bereits die 100-Meter-Rennen in Doha, Peking und Eugene. „Letztes Jahr war ich ein guter Starter und bekam dann Probleme. Daran habe ich hart gearbeitet“, meinte er.
Bei Bolt ist es etwas paradox. Er fühlt sich nach eigenen Angaben so gut in Form und beschwerdefrei wie selten zu Beginn einer Saison. Trotzdem war seine Zeit schon beim Auftakt auf den Cayman Inseln (10,09) erstaunlich schwach gewesen. „Das ist irre“, sagte er. Sich den WM-Titel zurückzuholen, wird vielleicht doch nicht der von vielen erwartete Spaziergang. Gegen Gatlin hat er nun erstmals verloren, Weltmeister Blake wird nach Verletzungsproblemen auch bald zurückerwartet. Und die Nummer eins in der Weltjahresbestenliste ist immer noch Tyson Gay (9,86). „Ich habe noch einiges zu arbeiten“, meinte Bolt. Am nächsten Donnerstag startet er in Oslo.
Alle Niederlagen von Usain Bolt seit 2008
Mit seinem ersten 100-Meter-Weltrekord am 31. Mai 2008 wurde Usain Bolt über Nacht weltbekannt. Seit diesem Tag hat der mittlerweile sechsfache Olympiasieger und fünffache Weltmeister aus Jamaika nur sechs Rennen über 100 und 200 Meter nicht gewonnen.