Der Harting-Ersatz heißt Harting: Christoph im WM-Finale
Peking (dpa) - Noch ist Christoph Harting nicht so weit, aber man stelle sich einmal vor: Ein Leichtathlet gewinnt bei einer WM zum ersten Mal eine Medaille. Er wird zum Interview gebeten und grantelt: „Das war ein scheiß Tag heute.
Ich bin mit diesem Wettkampf nicht zufrieden.“
Unvorstellbar? Bei den meisten Athleten vielleicht schon, bei Harting II. dagegen nicht. „Das stimmt“, sagt er diesmal ganz real und lacht dabei. „Ich weiß, das hört man beim Verband nicht gern. Aber ich bin ein Typ, der sich eher an Leistungen als an Platzierungen orientiert. Ein geschenkter Sieg - wer will sowas?“
Am Morgen hat bei der WM in Peking der Diskuswurf der Männer begonnen - und der Ersatz für den nach seiner schweren Knieverletzung noch immer nicht ganz fitten Titelverteidiger Robert Harting heiß ebenfalls Harting. Es ist sein fünf Jahre jüngerer Bruder. Gegen 5.00 Uhr morgens deutscher Zeit überstand der 25-Jährige locker die Qualifikation. Mit 64,23 Metern zog er im Gegensatz zu Daniel Jasinski (61,70) und Martin Wierig (61,35) in das Finale der besten Zwölf am Samstag ein.
Christoph Harting ist mit „viel Bock auf einen geilen Wettkampf“ zu seiner ersten WM geflogen. Eine Medaille erwartet er nicht („Mein Ziel war es, ins Finale zu kommen. Alles, was jetzt kommt, ist Bonus“). Die eingangs beschriebene Anekdote erzählt er nur, um zu verdeutlichen: Beide Hartings sind unterschiedliche Charaktere. Aber beide haben ihren ganz eigenen Kopf und ihre Prinzipien.
„Ein Wettkampf sollte immer eine Herausforderung sein“, sagt der Jüngere. „Deshalb finde ich es auch schade, dass mein Bruder nicht mit zu dieser WM geflogen ist. Er hätte diesem Wettkampf noch das Quäntchen Spannung, das Quäntchen Herausforderung gebracht. So muss ich mich allein mit der Konkurrenz herumschlagen.“
Die Konkurrenz, das ist vor allem Piotr Malachowski, der Weltjahresbeste aus Polen. Bei den vergangenen fünf großen Meisterschaften musste er am Ende immer Robert Harting gratulieren. Jetzt ist die Gelegenheit da, zum ersten Mal selbst Weltmeister zu werden. Vor drei Monaten sah es auf einmal so aus, als könnte ihm wieder ein Harting gefährlich werden. Denn zwei starke Auftritte in Wiesbaden und Halle ließen Christoph bis auf Platz drei der Weltjahresbestenliste klettern.
„Ich bewundere ihn immer wieder im Training, er hat richtig was drauf. Bei seinen physischen Werten kann man neidisch werden“, meint sein großer Bruder Robert. „Aber für den WM-Titel ist er noch zu jung und zu unerfahren. Ich hoffe, dass er ein paar Leute ärgern kann. Ich erwarte aber nichts.“
Christoph und Robert unterscheiden sich in vielen Dingen. „Vor allem beim Erfolg“, sagt Christoph und lacht erneut. Er selbst sei etwas ruhiger und geduldiger. „Gelassenheit ist, glaube ich, etwas, das ihm fehlt. Beziehungsweise, das ich mehr habe als er.“
Gut zu beobachten ist das zurzeit beim Thema Doping. Robert Harting ist zwar bei dieser WM nicht dabei, aber es vergeht trotzdem kaum ein Tag, an dem er sich in der Heimat nicht dazu äußert. Kurz vor der WM haben der Olympiasieger und seine Freundin Julia Fischer ein Video gedreht, in dem sie gegen den Weltverband IAAF protestieren. Darin treten sie selbst auf, der 800-Meter-Läufer Robin Schembera, die Hammerwerferin Kathrin Klass - aber nicht Christoph Harting.
Der überlegt kurz und sagt dann: „Ich finde die Idee gut, ich finde das Video genial. Aber ich möchte mich nicht aufdrängen.“ Er habe „eine Meinung zum Thema Doping, ganz klar. Aber alle Urteile dazu sollte man lieber den Experten überlassen. Ich bin bei dieser WM, und das Thema spielt in meinem Kopf keine Rolle.“