Leichtathletik WM: Norovirus legt deutsches Team flach

London. „Das habe ich auch noch nicht erlebt. Das ist keine normale Weltmeisterschaft, aber die Wettbewerbe laufen weiter“, sagte DLV-Cheftrainer Idriss Gonschinska im Rahmen einer Pressekonferenz, auf der Teamarzt Dr. Andrew Lichtenthal eine Chronologie der Krankheitsabläufe beschrieb.

Olympiasieger Thomas Röhler nimmt die Ausbreitung des Norovirus im deutschen Team gelassen auf.

Foto: Sven Hoppe

Zunächst waren am Freitag zwei Athleten betroffen, bei denen man von einer ernährungsbedingten Magen- und Darmproblematik ausgegangen war. Als sich immer mehr Fälle abzeichneten, wurde eine Isolation der betroffenen Personen angeordnet. Von Dienstag bis Mittwoch waren sieben Athleten und sechs Betreuer infiziert, zwei davon mit dem Norovirus, das sich durch Symptome wie heftiges Erbbrechen und starken Durchfall hervorgerufen wird. Sie sind noch in einer 48-Stunden-Quarantäne. Die Startchancen der beiden liegen nach Verbandsangaben bei 50:50.

Betroffen sind nach Angaben des Weltverbandes IAAF auch andere Mannschaften. Die DLV-Starter wohnen zusammen mit Sportlern weiterer Nationen in dem über rund 800 Zimmer verfügenden Hotel. Namen nannten die Verantwortlichen des DLV nicht. Das medizinische Notfallmanagement sei gesichtert, die Athleten per Dienstanweisung informiert worden, erklärte der Leitende Verbandsarzt Lichtenthal. Einer der betroffenen Athleten sei bereits gestartet, für zwei stünden die Wettbewerbe noch bevor.

„Wir haben zusammen mit der medizinischen Kommission der IAAF Gespräche geführt, und die Hygienestandards im Hotel wurden kurzfristig deutlich erhöht“, sagte der Mediziner. Verstärkt sollen die Athleten Desinfektionsmittel benutzen, sich regelmäßig die Hände waschen und offen liegendes Obst meiden. Für alle seit Montag anreisenden WM-Starter sind andere Unterkünfte in London besorgt. Die physiotherapeutischen Maßnahmen sind eingestellt worden. Der DLV bezeichnete dies als reine Vorsichtsmaßnahme und die Lage als Ausnahmesituation.

So wurden auch die drei am Montag an der Themse eingetroffenen DLV-Speerwerfer vorsorglich woanders untergebracht. Olympiasieger Thomas Röhler, der deutsche Rekordler Johannes Vetter und Andreas Hofmann belegen die ersten drei Plätze der Weltrangliste und sind große Medaillenhoffnungen. Das Finale findet am Sonntag statt. Auch die Zehnkämpfer haben ein anderes Quartier in der Nähe des Olympiastadions bezogen. Röhler gab sich gelassen: „Uns geht es allen gut, wir haben sogar Einzelzimmer. Schon komisch. Wir schütteln uns nicht mehr die Hände, sondern schlagen die Ellenbogen gegeneinander. Das ist mal was anderes.“

Mit dem Abschneiden des deutschen Teams war Gonschinska zur Halbzeit nicht unzufrieden. „Bei Carolin Schäfer hatten wir die Silbermedaille erwartet. Wir hatten sechs Top-8-Platzierungen. Viele Leistungen lagen im Erwartungsbereich.“ Die Siebenkämpferin holte bisher die einzige WM-Medaille für das deutsche Team. Was Gonschinska erwartet? „Entscheidend wird sein, wie wenig Athleten sich beeinflussen lassen durch die neue, unerwartete Situation.“ Zurzeit findet kein Staffeltraining der DLV-Athleten statt. „Wir wollen eine kürztmögliche Verweildauer auf Trainings-und Wettkampfstätten“, lautet die Begründung des Cheftrainers.

Dass die Virus-Erkrankungen als Vorwand für nicht erbrachte Leistungen herangezogen werden, hofft Gonschinska nicht. „Wir haben eine deutsche Mentalität, und schauen genau, ob es Ausreden gibt. Generell führen wir einen Neuaufbau durch und haben eine andere Erwartungshaltung, als die Medien sie vielleicht haben.“ Es gelte, „wer mental stark ist, hat eine größere Chance.“ DLV-Präsident Clemens Prokop hofft auf weitere vordere Plätze. „In der zweiten WM-Hälfte haben wir noch eine Reihe von Medaillenchancen, traditionell sind wir nach hinten raus immer erfolgreicher gewesen“. Drei Plaketten waren es bei Olympia 2016, gleich acht bei der letzten WM 2015 in Peking. Der wahre Leistungsstand liegt wahrscheinlich irgendwo dazwischen. „Ich finde, die jungen Athleten haben eine bewundernswerte Vorstellung gegeben. Es zeigt, dass wir bis zu den Olympischen Spielen 2020 gut aufgestellt sind“, ist Prokop guter Dinge.