Olympiasieger Schumann fordert Doping-Freigabe

Berlin (dpa) - Fast 16 Jahre nach seinem Gold-Coup von Sydney hat Nils Schumann mit seiner Vergangenheit gründlich aufgeräumt - und provoziert mit seiner Forderung nach der Freigabe von Dopingmitteln.

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„Ich bin ganz klar gegen Doping! Aber ich sage auch: Wenn ich etwas nicht kontrollieren kann, dann sollte ich es auch nicht kriminalisieren“, erklärte der seit 2000 letzte deutsche Lauf-Olympiasieger im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. „Der saubere Athlet ist effektiv der Dumme und steht auch noch unter Generalverdacht.“

„Wenn in Deutschland laut Studie zwei Millionen Fitnessstudio- Besucher zu Dopingmitteln greifen, dann ist das ein Massenphänomen“, sagte der 37-jährige Erfurter, der 2000 in Sydney Gold über 800 Meter gewann. Wenn man Doping legalisiere, „kann man zumindest dafür sorgen, dass die Leute wissen, was genau sie da überhaupt konsumieren“, meinte Schumann. „Statt bei dubiosen Internet-Anbietern können sie dann bei staatlich überprüften Herstellern kaufen, die ihre Produkte ähnlich wie heute schon Zigaretten mit deutlichen Warnhinweisen versehen.“

Auch in seinem kürzlich erschienenen Buch „Lebenstempo - in Alltag und Sport den eigenen Rhythmus finden“ vertritt der Geschäftsführer einer Fitness-Firma diese seit Jahrzehnten kontrovers diskutierte These: „Wenn wir wirklich klare Verhältnisse wollen, dann bleibt uns nur die Freigabe aller leistungssteigernden Mittel.“ Es falle ihm schwer zu sagen, aber: „Wenn wir heute ernsthaft die Legalisierung von Drogen wie Cannabis oder gar Heroin diskutieren, warum dann auch nicht die von Doping?“

Leistungssportler könnten sich bei einer Freigabe „offizielle Dopingsponsoren suchen“, meinte der Thüringer, „deren eigenstes Interesse es wäre, dass ihre Medikation keine problematischen Nebenwirkungen zeigt.“ So würde der Leistungssport neu an Dynamik gewinnen. „Endlich wären wieder Weltrekorde möglich, „die nicht unter Verdacht stünden, in Zukunft annulliert zu werden“, sagte Schumann.

Vor zwölf Jahren stand plötzlich auch der Europameister von 1998 im Fokus der Dopingfahnder. Denn Schumann hatte sich im Sommer 2003 auf eine Liaison mit dem umstrittenen Trainer Thomas Springstein eingelassen, der im März 2006 wegen Dopings von Minderjährigen zu 16 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt wurde. Zwar hatte sich der Olympiasieger schon im September 2004 wieder von Springstein getrennt, doch die Auswertung von Prozess-Dokumenten brachte dem Weltklasse-Mittelstreckenläufer ein Ermittlungsverfahren des Deutschen Leichtathletik-Verbandes ein.

Bei einer Hausdurchsuchung habe man bei Springstein auch einen Zettel gefunden, schreibt Schumann, „auf dem mehrere, zum Teil illegale Substanzen standen und rechts oben ein 'N'. Schon stand auch ich unter Dopingverdacht, und die Presse lief Sturm.“ Als der DLV das Verfahren gegen ihn Anfang 2007 einstellte, war das „höchstens einen Dreizeiler wert. Mein Ruf war dauerhaft beschädigt.“

Sydney war der „Lauf meines Lebens“, hatte Schumann nach seinem Gold-Coup am 27. September 2000 gesagt, sein Lebens-Lauf hatte indes Ecken und Kanten, gibt er in dem Buch zu, es gab viele Höhen und Tiefen. Als Sunnyboy war er einst obenauf. „Ich wirkte nicht so emotionslos wie Michael Schumacher, nicht so einfach gestrickt wie Jan Ullrich und nicht so vernebelt wie Boris Becker“, schildert er den „frühen“ Schumann.

Der Olympiasieg habe „eine große Erwartungshaltung ausgelöst, auch bei mir“, sagte Schumann in dem dpa-Gespräch. „Und ich habe diese hohen Erwartungen an mich zum Teil nicht erfüllt.“ Danach habe er auch die negativen Seiten des Leistungssports kennengelernt - seine aktive Karriere beendete er 2009.

Sein Buch sei ein „Ratgeber für viele, die orientierungslos Ihren Rhythmus suchen“. Die Schere „zwischen fit und unfit klafft immer weiter auseinander“, es gebe immer mehr Fettleibige. „Die Frage ist: Wie kann man diesen Trend aufhalten?“ Schumann: „Die immer kranker werdende Gesellschaft - das ist eine Schreckensvision.“