Tod von Birgit Dressel: „Opfer der Pharmaindustrie“
Vor 25 Jahren starb in Mainz die Siebenkämpferin Birgit Dressel. Ihr Körper verlor den Kampf gegen die Medikamente.
Düsseldorf. Als Birgit Dressel am 10. April 1987 im Vorfeld der Weltmeisterschaften in Rom in der Universitätsklinik Mainz an „multiplem Organversagen“ starb, war der Aufschrei riesig. Es war ein Samstag. „Am 10. April gab Birgits Körper das Leben auf“, schrieb der „Spiegel“ damals. Es war eine der dunkelsten Stunden der Leichtathletik in Deutschland West.
Nur 24 Stunden später forderten Deutschlands Sportfunktionäre vehement „lückenlose Aufklärung“ und riefen nach „schärfsten Konsequenzen“. Passiert ist damals im Grunde gar nichts. Birgit Dressel ist vollkommen umsonst gestorben. Der einzige, der damals aufklärerisch wirkte, war der damalige Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), Eberhard Munzert. Munzert wurde angefeindet, verleumdet, scheiterte kläglich, seine Amtszeit war nur eine sehr kurze.
Jochen Spilker, damals Sprinttrainer in Hamm, lockte zahlreiche Athletinnen in seinen Verein („Da zeigen wir dir mal, warum die DDR-Mädels so schnell sind“). Ein gewisser Armin Klümper in Freiburg stellte damals Blankorezepte aus. Klümper, ein mürrischer Mensch, aber immer auf der Seite der Athleten, wie auch sein Kollege Joseph Keul, über Jahrzehnte Olympiaarzt des Nationalen Olympischen Komitees, ein Intimus von Willi Daume. Auch Keul war ein netter Mensch, immer auf der Seite der Athleten. Wie zuletzt von einem der renommiertesten deutschen Sportmediziner, Professor Dr. Heinz Liesen, im „Spiegel“ nochmals bestätigt und beschrieben.
Klümper war Verbandsarzt des DLV, behandelte auch Ralf Reichenbach, der Anfang der 90er im Aktuellen Sportstudio die deutschen Sportfunktionäre völlig zutreffend „Heuchler“ nannte und die Dopingfreigabe forderte, was natürlich die falsche Konsequenz gewesen wäre. Einen Aufschrei des Protestes gab es damals, passiert ist nichts. Reichenbach war Zweiter der Europameisterschaften 1974 im Kugelstoßen (20,38). Im Februar 1998 versagte sein lange schwach gewordenes Herz seinen Dienst endgültig.
Der „Spiegel“ wertete 1987 das rechtsmedizinische Gutachten zum „Fall Birgit Dressel“ aus („Ein Dokument des Schreckens“). Über 100 Medikamente und mehr als 400 Injektionen ließen sich bei der nur 26 Jahre alt gewordenen Athletin allein für die letzten zwei Jahre ihrer Behandlung durch Sportarzt Klümper nachweisen. „Der Fall war ein einziges Mahnmal“, hat der Tübinger Soziologe Professor Dr. Helmut Digel einmal gesagt. Dabei war dieser Fall stets von Verdrängung und Verharmlosung geprägt.
Ein Jahr nach dem Tod der gebürtigen Bremerin wurde der Sprintstar Ben Johnson bei den Olympischen Spielen in Seoul mit dem anabolen Steroid Stanozolol im Körper erwischt. Die gleiche Substanz hatte nachweislich auch die EM-Vierte von 1986 genommen.
„Auf Ben Johnson haben in Deutschland alle mit dem Finger gezeigt“, sagt der Dopingexperte Professor Dr. Werner Franke. Bei Dressel sei „nichts Besonderes nachgekommen. Das ist das, was ich die germanische Scheinheiligkeit nenne“, meint Franke. „Nicht die Scheinheiligkeit der einzelnen Sportler, sondern die Scheinheiligkeit des Systems. Birgit Dressel hätte als letztes Alarmzeichen dienen müssen.“
Genau das passierte aber nicht. Von einer Schockwirkung nach Dressels Tod konnte im deutschen Sport lange Zeit kaum die Rede sein. „Birgit ist ein Opfer der Pharmaindustrie“, klagte Hermann Dressel nach dem Tod seiner Tochter an.
Die damals in Mainz lebende Athletin hatte am 8. April 1987 mit starken Schmerzen in der Lendenwirbelgegend das Training abgebrochen. Ihr Trainer und Lebensgefährte Thomas Kohlbacher sprach später von einem „Hartspann“, laut Franke eine der häufigsten Nebenwirkungen bei Anabolika-Doping. Nur wusste keiner der 24 Ärzte, die am Ende um Dressels Leben kämpften, dass sie solche Mittel genommen hatte. Vielmehr pumpten sie laut Gutachten noch weitere Medikamente in den überlasteten Körper hinein. Belangt wurde niemand. Ein „fahrlässiges und damit schuldhaftes Verhalten“ sei Ärzten wie Klümper „nicht nachzuweisen“.
Dopingexperte Franke macht sie dennoch für diese Tragödie verantwortlich: „Solchen Sportmedizinern geht es um den Erfolg. Sie haben wiederholt und brutal gegen ihr ärztliches Ethos verstoßen.“