Verführerischer Mythos Formel-1-Spektakel in Monaco
Monte Carlo (dpa) - Die Faszination Formel 1 beginnt für Nico Hülkenberg in diesen Tagen direkt vor der Haustür. Wie acht seiner Fahrerkollegen hat der Rheinländer seinen Wohnsitz in Monaco und ist beim schillerndsten Grand Prix des Jahres Heimschläfer.
„Das ist schon ein bisschen komisch, jeden Abend nach den Einheiten nach Hause zu fahren, aber auch eine nette Abwechslung“, sagt der Renault-Pilot, der am Sonntag zum siebten Mal die irrsten 78 Runden der Saison in Angriff nimmt. „Es gibt keinen Ort, der dir so ein Kribbeln und das Gefühl von Geschwindigkeit verschafft“, sagt der 29-Jährige.
Über 3,337 Kilometer durch enge Gassen, eine Tunnelkurve und dicht vorbei an einigen der teuersten Immobilien der Welt führt die Strecke, die der komplette Gegensatz zu den auf Sicherheit getrimmten Kursen der modernen Formel 1 ist. „Der Große Preis von Monaco ist wie Alkohol: Würde er heute erfunden, dann würde er niemals erlaubt“, schrieb einmal der englische „Daily Mirror“.
Doch gerade diese Unvernunft, dieses Gefühl von Gefahr elektrisiert die Fahrer bis heute. Zwar stürzt niemand mehr mit seinem Auto ins Hafenbecken wie Alberto Ascari 1955 in seinem Lancia, doch mit bis zu 290 Stundenkilometern durch die Stadt zu rasen, ist noch immer Risiko genug. „Wenn du dann die Mauer küsst, willst du einfach noch mal raus, anstatt dass es dich beängstigt“, beschreibt Daniel Ricciardo, ein weiterer Monaco-Resident, den Adrenalinkick des Klassikers.
Die 19 Kurven, deren Namen wie Sainte-Dévote, Mirabeau und Rascasse längst Legende sind, fordern die Steuerkünstler bis zum Anschlag. Mehr als 4000 Gangwechsel müssen die Getriebe der Boliden im Verlauf des Rennens aushalten, jeder Fehler führt in die Leitplanke. „Wir könnten dieses Rennen an jedem Wochenende haben, und es wäre fantastisch. Jedes Mal stehst du vor der größten Herausforderung deines Lebens“, schwärmt Mercedes-Fahrer Lewis Hamilton.
Der Brite hat in seiner Wahlheimat schon zweimal triumphiert. Den Rekord hält die Ikone Ayrton Senna mit sechs Siegen. Die Fahrt des Brasilianers zur Pole Position 1988 gilt Experten als die vielleicht perfekteste Formel-1-Runde, die jemals gedreht wurde. Senna selbst fühlte sich damals „wie in einer anderen Dimension, außerhalb meiner Vorstellungskraft“.
Es sind Geschichten wie diese, die den Mythos Monaco unterfüttern. „Es ist das wichtigste Rennen, das, was wir alle gewinnen wollen“, sagt Force-India-Fahrer Sergio Perez.
Das irrwitzige Spektakel vor der malerischen Kulisse der Côte d’Azur verführt seit jeher auch durch den Glamour abseits der Strecke. Im Wasser glitzern millionenschwere Superjachten, einige von ihnen so groß, dass sie vor dem alten Hafenbecken ankern müssen. Durch die verstopften Seitenstraßen schieben sich die Luxuskarossen der Monaco-Bewohner, die in diesen Tagen nicht einfach ihre Appartements vermietet und die Stadt verlassen haben.
Unter das Fanvolk mischen sich langbeinige Möchtegern-Models und schrille Paradiesvögel, die auf der Kaikante wie auf einem Laufsteg tänzeln. Dank des oft zeitgleichen Filmfestivals im nahegelegenen Cannes kamen in den vergangenen Jahren Hollywood-Stars wie Brad Pitt, Cameron Diaz oder Will Smith vorbei. In der Vorsaison trank Hamilton seinen Siegerschampus mit Kumpel Justin Bieber.
Für die Teams ist das seit 1955 jährlich aufgeführte Schauspiel indes kein pures Vergnügen. „Es fühlt sich an, als ob wir das ganze Wochenende durch die Gegend laufen. Es ist so eng, so viele Leute“, sagt Ferrari-Pilot Kimi Räikkönen, der für die Begleiterscheinungen des Monaco-Abenteuers eher wenig übrig hat. Die Mechaniker schuften in stickigen und knallengen Garagen, VIP-Gäste und Sponsoren drängeln sich durch Boxengasse und Fahrerlager. „Es ist ein ziemlich großes Theater“, sagt Räikkönen, und eigentlich ist dem nichts hinzuzufügen.