Ein Mann auf der Jagd: Vettel setzt auf Risiko
Montreal (dpa) - Die verspiegelte Sonnenbrille von Sebastian Vettel verdeckt den Blick des Jägers. Angriffslustig, auf Fehler seiner Mercedes-Rivalen Lewis Hamilton und Nico Rosberg lauernd, so zeigt sich der deutsche Ferrari-Star auch vor dem siebten Formel-1-Saisonrennen in Montreal.
„Jeder ist bis in die Haarspitzen motiviert, wir sind drauf und dran“, sagt der Hesse, der als WM-Dritter die treibende Kraft des Ferrari-Aufschwungs in dieser Saison ist.
Sein verschmitztes Grinsen, die entspannte Körpersprache belegen, wie wohl sich der 27-Jährige in diesen Tagen in der Rolle des Herausforderers fühlt. Vettel ist angekommen bei Ferrari, kein Fremdeln mit dem neuen Arbeitgeber, keine Mühe mit den hohen Erwartungen. „Wir wissen, wo wir hinwollen und behalten beide Beine auf dem Boden“, sagt Vettel schlicht.
Echte Kampfansagen behält sich der viermalige Weltmeister für die Strecke vor. Im eigenen Stall hat Vettel schnell die Verhältnisse geklärt. Als einziger Pilot im Feld hat er in diesem Jahr bislang alle Qualifikationsduelle mit seinem Teamkollegen Kimi Räikkönen für sich entschieden, stand in fünf der sechs Rennen auf dem Podium und beendete in Malaysia das fast zweijährige Warten auf einen Ferrari-Sieg.
Mit der Nestflucht von seinem langjährigen Förderer Red Bull hat Vettel anscheinend alles richtig gemacht. „Es ist dieses Jahr sehr, sehr gut gelaufen“, meint Vettel, „die Erwartungen wurden in vielerlei Hinsicht schon übertroffen.“ Nimmt man die bisherigen Ergebnisse, scheint der Scuderia-Neuling der Einzige, der die Mercedes-Dominanz kurzfristig beenden kann.
Muss man sich diesen Vettel, der auch in der drückenden Enge vor dem Ferrari-Zelt im Fokus von einem Dutzend Kameras vergnügt bleibt, also als glücklichen Menschen vorstellen? „Die Strecke ist ein großer Teil meines Lebens. Wenn es hier gut läuft, bin ich natürlich auch glücklicher“, sagt der Jungvater.
Zur Perfektion aber braucht Vettel Titel. 28 Punkte fehlen ihm derzeit auf WM-Spitzenreiter Hamilton, 18 auf Rosberg. „Es geht nicht von heute auf morgen“, sagt Vettel geduldig in jedes Mikrofon. Aber der Zuhörer spürt, dass der Heppenheimer seine Chance durchaus noch in dieser Saison sieht. „Wir haben unseren Plan für das ganze Jahr“, lässt Vettel wissen.
Ein paar Meter weiter beobachtet der wie immer gut gegelte Teamchef Maurizio Arrivabene mit italienischer Lässigkeit die Szenerie. „Wir haben ein bisschen was in der Hinterhand. Wenn das Glück uns lacht, werden wir daraus unseren Vorteil ziehen“, sagt Arrivabene.
Beim Rennen in Montreal darf Vettel einen neuen Motor ausfahren. Bis zu 30 PS mehr Leistung bringe das Triebwerk, wird im klapprigen Fahrerlager am Sankt-Lorenz-Strom geraunt. Mercedes wäre damit nicht mehr weit voraus. „Die können eine echte Gefahr sein. Wir müssen aufpassen“, warnt Silberpfeil-Lenker Rosberg.
Für Ferrari aber ist es auch ein gewagtes Spiel. Der neue Motor ist schon der dritte im siebten Saisonrennen, nur vier dürfen dieses Jahr straffrei eingesetzt werden. „Wenn man nicht führt, muss man aggressiv sein“, sagt Vettel. Dieser Mann ist auf der Jagd.