Formel-1-Architekt: In Indien von Null auf Hundert

Greater Noida (dpa) - Wann immer eine neue Rennstrecke für die Formel 1 gebaut wird, ist der deutsche Architekt Hermann Tilke verantwortlich. So auch für den Kurs in Greater Noida vor den Toren Neu Delhis, wo am Sonntag erstmals auch in Indien ein Grand Prix stattfindet.

Im Interview der Nachrichtenagentur dpa berichtet Tilke von seinen Sorgen vor der Premiere, spricht sich für Rennen auch in Afrika aus und betont nach den jüngsten Todesfällen im Motorsport auch das Restrisiko in der Formel 1.

Wie sieht es kurz vor dem ersten Rennen in Indien an der Strecke aus?

Tilke: „Es ist alles in Ordnung. Die Strecke ist ohne Probleme abgenommen worden. An den Hochbauten wird noch etwas gewerkelt, aber die Strecke ist soweit fertig.“

Im vergangenen Jahr gab es bei der Premiere in Südkorea einige Schwierigkeiten, läuft es in Indien nun besser?

Tilke: „Letztendlich war Südkorea auch ein erfolgreicher Grand Prix, in dem Sinne, dass er ohne Probleme durchgezogen werden konnte. Das wird in Delhi auch der Fall sein.“

Was ist besonders an der neuen Strecke in Indien?

Tilke: „Es gibt einige Dinge, die es in sich haben. Eine sehr lang gezogene Rechtskurve, die wird anspruchsvoll sein. Wir werden sehen, was die Reifen sagen. Es wird kein Reifenproblem geben, aber es kann schon sein, dass die Reifen sehr belastet werden. Wir haben einige Auf und Abs, es geht also etwas hoch und runter. Wir haben einige Überholmöglichkeiten, dabei aber die Kurven nach innen geweitet. Das macht es für den Vorfahrenden schwieriger, sich zu verteidigen.“

Sebastian Vettel sprach bereits von einer „wahren Achterbahnfahrt“...

Tilke: (lacht) „Achterbahn ist vielleicht etwas übertrieben. Aber es gibt relativ viele Kurven.“

Sind sie eigentlich vor neuen Rennen immer noch aufgeregt?

Tilke: „Naja, ich hoffe, dass die Hauptsachen funktionieren: Die gesamte Technik - für die Teams, für die Journalisten, für die Besucher, für die Fahrer, für alle. Das ist unsere größte Sorge. Weil immer alles kurzfristig fertig wird, wird ja vorher nicht getestet. Es gehen auch immer bei einem ersten Grand Prix - das ist einfach so - Kleinigkeiten schief. Wir gehen da von Null auf Hundert.“

Haben Sie nicht langsam schon Routine?

Tilke: „Routine hat man nicht, man ist immer nervös. Dabei gibt es verschiedene Stufen. Wenn die ersten Teams ankommen und finden etwa die Steckdose nicht, muss man immer dafür sorgen, dass sie die finden. Wenn das erste Auto freitags gefahren ist, wird man gelassener. Dann sind ja auch die ersten Gäste schon da. Auch da haben wir aber schon alles mögliche erlebt, dass zum Beispiel mal 'ne Box voll Fäkalien gelaufen ist, weil irgendwo ein Rohr nicht richtig angeschlossen war. Das muss natürlich ganz schnell geregelt werden. Wenn das alles vorbei ist, denkt man sich: Erstmal schlafen jetzt.“

In einzelnen Medien war zuletzt die Rede von Bauernprotesten rund um die Strecke, weil sie sich beim Landverkauf geprellt sahen...

Tilke: „Das gab es wohl, ich habe das auch mitbekommen, aber nicht hautnah. Wir haben es gewusst, aber selbst nicht erlebt. Ich kann das nicht einschätzen. Wie man versichert hat, ist das kein Hindernis.“

Wie beurteilen Sie die Formel-1-Expansion in immer neue Märkte?

Tilke: „Es handelt sich um eine Weltmeisterschaft, also sollte sie auf jedem Kontinent vertreten sein. Der Schwerpunkt Europa wird wohl bleiben. Dass die Formel 1 aber immer in neue Märkte geht, ist ganz klar aufgrund der Sponsoren. Die beteiligten Firmen wollen ja auch neue Märkte erschließen. Die Entwicklung beurteilt Bernie Ecclestone sehr gut. Man muss immer weiter gehen und voraus denken. Indien ist ein riesengroßes Land mit vielen Fans und Potenzial. Von daher ist es logisch, auch nach Indien zu gehen.“

Wenn auf allen Kontinenten gefahren werden sollte: Wann findet dann das erste Rennen in Afrika statt?

Tilke: „Wann kann ich nicht sagen. Das entscheiden andere Leute, das sind ja politische Entscheidungen. Es ist sicherlich auch sinnvoll da zu fahren über kurz oder lang, wenn sich das anbietet.“

Haben Sie eigentlich eine Lieblingsstrecke?

Tilke: „Die habe ich, die ist aber nicht von uns gebaut und wird in der Formel 1 nicht gefahren: Die Nordschleife am Nürburgring.“

Also sind Sie eigentlich doch ein Traditionalist?

Tilke: „Tja, die wurde 1927 gebaut, da war ich noch nicht soweit... Ansonsten haben die aktuellen Strecken alle ihren Reiz.“

Kommen Sie bei der Konzeption neuer Strecken eigentlich ins Grübeln, wenn tödliche Unfälle passieren? Zuletzt gab es gleich zwei im Motorsport binnen kurzer Zeit.

Tilke: „Wir denken immer an die Sicherheit. Und die hat sich im Rennsport allgemein und in der Formel 1 im speziellen wesentlich verbessert. Man muss sich aber darüber im Klaren sein: Eine hundertprozentige Sicherheit wird es nie geben. Da bleibt immer ein Restrisiko. Es kommt der Tag, wo wieder etwas Schlimmes passiert, so wie jetzt beim Indycar-Rennen.“