Mercedes in Reifentest-Affäre nur verwarnt

Paris (dpa) - Mercedes ist in der Reifentest-Affäre der Formel 1 mit einem blauen Auge davongekommen. Das deutsche Werksteam erhielt ebenso wie Exklusiv-Lieferant Pirelli nur eine Verwarnung. Zudem darf Mercedes am nächsten Nachwuchsfahrer-Test im Juli in Silverstone nicht teilnehmen.

Die unabhängigen Richter folgten in Paris mit dieser Entscheidung praktisch dem Schlussplädoyer von Mercedes-Anwalt Paul Harris. Das Internationale Tribunal des Automobil-Weltverbandes FIA unter Vorsitz von Edwin Glasgow erklärte in der 20-seitigen Urteilsbegründung, dass der Test nicht mit der Absicht durchgeführt worden sei, damit Mercedes einen unfairen Vorteil erlange.

Weder Pirelli noch die Silberpfeile hätten zudem zu irgendeinem Zeitpunkt mit schlechter Absicht gehandelt. Nach der zweimaligen Rücksprache mit FIA-Rennleiter Charlie Whiting hätte es für Mercedes auch keinen Grund gegeben, nicht zu glauben, dass sie Grünes Licht für die Tests hätten, erklärten die Richter.

Mercedes akzeptierte das Urteil. „Im Interesse des Sports wird das Team nicht von seinem Recht der Berufung gegen diese Entscheidung Gebrauch machen“, teilten die Silberpfeile mit. Mercedes sah sich bestätigt, dass man immer in guter Absicht gehandelt habe und sich nie einen unfairen Vorteil habe verschaffen wollen. Die FIA hofft auf einen Lerneffekt. Daher soll die Kontrolle der Testfahrten durch den Weltverband in Zusammenarbeit mit den Teams gestärkt werden.

Die Kammer machte in ihrer Urteilsbegründung dennoch klare Verfehlungen von Mercedes und Pirelli aus. Die Silberpfeile hätten durch den Test mit ihren Rennautos gegen Paragraf 22 des Sportlichen Regelwerks verstoßen. Testfahrten mit aktuellen Autos in der laufenden Saison werden dort untersagt.

Zudem hätten Pirelli und das deutsche Werksteam Artikel 151 des International Sporting Code gebrochen. Dort geht es um die Handhabung von „arglistigem Verhalten oder jeder Handlung, die dem Interesse des Wettbewerbs schadet oder dem Interesse des Motorsports generell“. Die Richter konstatierten zudem, dass es undenkbar sei, dass Mercedes aus den 1000 Kilometern gar keinen Nutzen hätte ziehen können. Das hatten die Verantwortlichen der Silberpfeile von Beginn an vehement bestritten. Dennoch entschieden die Richter relativ milde: Denn bei allem habe es keine böse Absicht gegeben.

Auslöser des Streits waren Probefahrten von Mercedes vom 15. bis 17. Mai auf dem Formel-1-Kurs des Circuit de Catalunya bei Barcelona. Nico Rosberg, beim darauffolgenden Großen Preis von Monaco triumphaler Gewinner, und sein Teamkollege Lewis Hamilton testeten auf Bitten von Hersteller Pirelli neue Reifen. 1000 Kilometer wurden abgespult, zu knapp 10 Prozent kamen Pneus zum Einsatz, die schon für diese und nicht erst für die nächste Saison konzipiert sind.

Gegen diese Tests hatten Sebastian Vettels Team Red Bull und Ferrari Protest eingelegt. Ihr Vorwurf, der nun größtenteils entkräftet wurde: Mercedes habe sich durch den Solo-Test einen Vorteil verschafft. Vor allem, weil die Silberpfeile mit ihrem aktuellen Rennwagen getestet hatten.

Mercedes-Teamchef Ross Brawn hatte sich und den Rennstall während der rund siebenstündigen Sitzung am Donnerstag verteidigt: „Wir hatten keine Ahnung, welche Reifen eingesetzt wurden. Wir wussten nicht, was genau Pirelli testen will“, meinte der Brite, der als ein Meister im Ausnutzen von Grauzonen im Reglement gilt.

Der gesamten Mercedes-Führungscrew um Motorsportchef Toto Wolff wird nun ein Stein vom Herzen fallen. Zumal der Aufsichtsratschef des Teams, Niki Lauda, schon vor der Verhandlung hinter den Türen des Salle du Comité versucht hatte, eine außergerichtliche Einigung zu erzielen. So sind sie nun auf einem ordentlichen Weg von unabhängigen Richtern weitgehend entlastet worden.

Insbesondere Red Bull und Ferrari aber dürften schäumen. „Zwei Stammfahrer bringen bessere Ergebnisse als Formel-1-Neulinge“, zitierte das Fachmagazin „auto, motor und sport“ Red-Bull-Teamchef Christian Horner, der den Mercedes-Ausschluss vom Nachwuchsfahrer-Test als milde bewertete.

Red-Bull-Motorsportdirektor Helmut Marko hatte schon vor der Verhandlung gepoltert: „Wenn dieser Test ohne Konsequenzen durchgewinkt wird, würden alle Verhandlungen über Kostenbegrenzung über Bord gehen. Das wäre die Öffnung von Pandoras Büchse, die wir dann kaum jemals wieder schließen könnten.“ Das Urteil wird den Österreicher nicht milder stimmen.