Wolff: „Trainingsweltmeister gab es schon viele“
Berlin (dpa) - Nur noch vier Testtage, dann wird es ernst. In nicht einmal mehr drei Wochen gehen die Roten Ampeln im Albert Park von Melbourne aus und die Formel-1-Saison 2014 startet. Nach bisherigen Eindrücken liegt vor allem das deutsche Werksteam MercedesAMG vielversprechend im Rennen.
„Wir können vorsichtig optimistisch sein“, sagt Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff in einem Interview der Nachrichtenagentur dpa. Selbst wenn die Silberpfeile vor den abschließenden Tests in dieser Woche in Bahrain die meisten Runden drehten: Auch sie blieben immer wieder stehen.
Wie schätzen Sie die bisherigen Testauftritte von Mercedes ein?
Wolff:Wir sind noch kein Rennen gefahren. Wir testen nur, und wir wissen nicht, was die anderen machen. In Melbourne werden wir das erste Mal sehen, wo wir stehen. Und dann ist die Saison lang. Wir sind uns immer bewusst, dass Ferrari und die Renault-Teams zurückkommen werden. Es ist nur eine Frage der Zeit.
Ist Zurückhaltung also erst mal die Devise?
Wolff:Demut ist das Wort, das mir in dem Kontext einfällt. Wir haben auch in den vergangenen Jahren beim Testen immer wieder gut ausgesehen. Trainingsweltmeister hat es schon viele gegeben. Es geht darum, dass wir das beim ersten Rennen an dem Sonntag in Melbourne auch umsetzen können. Wir lassen nicht nach. Wir haben einen guten Test gehabt, das ist aber kein Grund, um in Jubel zu verfallen. Wir können vorsichtig optimistisch sein.
Auf welchem Stand sehen Sie Mercedes denn jetzt konkret?
Wolff:Wir haben uns lange auf diese Saison vorbereitet. Und es zeigt sich jetzt auch, dass wir mit der richtigen Vorbereitung zumindest vernünftig zum Testen kommen. Jeder Kilometer ist wertvoll. Aber das Thema Haltbarkeit ist noch lange nicht ausgemerzt. Auch wir sind immer wieder stehengeblieben bei längeren Runs. Das neue Antriebsaggregat ist einfach noch nicht so ausgereift und getestet, dass man sagen kann, es ist absolut haltbar und zuverlässig. Das ist auch etwas, das uns in die Saison begleiten wird.
Rechnen Sie also mit anderen Rennverläufen als bisher?
Wolff:Wir werden andere Rennen sehen als in der Vergangenheit. Wir hatten in den vergangenen Jahren oft eine nahezu hundertprozentige Nichtausfallgarantie. In diesem Jahr werden die Ingenieure noch ein klein wenig mehr gefordert sein. Es wird zu Ausfällen kommen, die wird es bei uns geben und auch bei anderen. Am Ende wird auch dieses Jahr der Schnellste vorne sein, aber die Haltbarkeit wird eine größere Rolle spielen.
Muss man sich denn in Melbourne in weniger als drei Wochen auf ein Szenario gefasst machen, dass mehr Autos liegen bleiben als ins Ziel kommen?
Wolff:Es ist ganz wichtig, nicht notorisch ins Nörgeln zu verfallen und darüber nachzudenken: Bekommen wir ein Chaosrennen oder nicht? Ich kann mich erinnern, dass sich die Leute beklagt haben, dass alle nur hintereinander herfahren, dann kamen KERS und DRS und es hieß, alles ist jetzt künstlich und verfälscht. In den letzten Jahren war das Thema Ausfälle eines, mit dem man fast gar nicht mehr gerechnet hat. Und jetzt haben wir eine völlig neue, für mich bahnbrechende Technologie und deswegen ist das Thema Ausfälle wahrscheinlich ein klein wenig mehr an der Tagesordnung. Die Formel 1 ist nicht nur ein Wettbewerb der besten Rennfahrer, sondern auch ein Wettbewerb der besten Ingenieure.
Inwiefern spielt auch bei der Weiterentwicklung des Autos während der Saison die Tatsache eine Rolle, dass Hersteller wie Mercedes oder Ferrari alles selbst machen und nicht den Antriebsstrang geliefert bekommen?
Wolff:Da es bei uns und bei Ferrari um unser Kernprodukt, das Automobil geht, und wir in der Lage waren und sind, das Konzept aus einem Guss zu entwickeln, ergibt das natürlich Vorteile. Bei anderen Teams, die einen Motorenlieferanten haben, ist das eine schwierigere Aufgabe. Man sieht aber auch an McLaren und Williams (beide mit Mercedes-Motor), dass das Konzept Kundenmotor ebenfalls funktioniert.
Waren die Probleme von MercedesAMG beim Testen völlig unvorhersehbar oder hatten Sie damit gerechnet?
Wolff:Es war uns absolut klar, dass diese Probleme auftreten würden. Das waren alles keine besonders sensiblen Sachen. Umso mehr Kilometer man fährt, umso mehr Detailprobleme gibt es zu lösen. Das sind aber alles Herausforderungen, mit denen wir bei so einem neuen Antriebsstrang gerechnet haben.
Wie kann man einem erklären, dass ein vier Jahre lang tonangebendes Weltmeisterteam nun offensichtlich mehr zu kämpfen hat als jeder andere Rennstall?
Wolff:Es ist eine neue Generation an Formel-1-Autos. Eine Generation, die technisch viel anspruchsvoller ist. Dazu kommen nicht nur die Herausforderungen rund um den Antriebsstrang. Aber diese Truppe hat viermal die WM gewonnen und stellt einen der besten Fahrer im Feld. Ich zweifle keine Sekunde daran, dass Red Bull zurückkommen und in dieser Saison noch ein richtig starker Gegner wird.
Aber ihr Vorteil ist doch nicht wegzudiskutieren! Kann man den Rückstand in den kommenden vier Testtagen in dieser Woche in Bahrain aufholen oder in den ersten drei, vier Rennen?
Wolff:Wenn man acht Tage sauber und viele Kilometer gefahren ist, ist das schon ein Vorteil. Man darf aber auch nicht vergessen, dass auch wir oder die Teams, die an den Tagen mehr gefahren sind, erstmal durchkommen müssen. Ich gehe davon aus, dass das erste Thema sein muss, das Rennen zu Ende zu fahren. Dann geht es darum, welche Entwicklungsgeschwindigkeit man über die Saison hinweg hält. Es kann sein, dass ein Team den einen oder anderen Vorteil aus dem Winter mitnimmt. Diesen Vorteil gilt es zu halten.
ZUR PERSON:Toto Wolff ist seit gut einem Jahr Motorsportchef bei Mercedes. Er löste auf dieser Position Norbert Haug ab. Wolff, geboren am 12. Januar 1972 in Wien, führt in dieser Saison zusammen mit Paddy Lowe den Rennstall des deutschen Autobauers. Er ist mit der Rennfahrerin Susie Wolff verheiratet.