Nach Olympia-Desaster: Wo steht das deutsche Schwimmen?

Berlin (dpa) - Vor neun Monaten waren die deutschen Beckenschwimmer am Tiefpunkt: Ohne Olympia-Medaillen, die Konkurrenz enteilt. Auf den neuen Chef-Bundestrainer Henning Lambertz wartet viel Arbeit, um den Anschluss an die Weltspitze wiederherzustellen.

Welche Konsequenzen wurden nach dem London-Debakel gezogen?

Es gibt wieder einen Chef-Bundestrainer mit entsprechenden Kompetenzen. Als eine seiner ersten Amtshandlungen entschärfte der kommunikationsfreudige Lambertz die „härtesten Normen der Welt“. Zum einen soll nicht mehr die DM der Leistungshöhepunkt sein, zum anderen der Nachwuchs eine Perspektive erhalten. Als erste nutzte die 16 Jahre alte Rückenschwimmerin Selina Hocke diese Chance und überraschte in Berlin mit starken Leistungen und dem WM-Ticket.

Eine Expertenkommission sollte die DSV-Verbandsstrukturen reformieren. Was ist daraus geworden?

Länger als zuvor angekündigt arbeitete das Gremium aus externen Experten und Verbandsoffiziellen. Nun sollen die Ergebnisse im Mai veröffentlicht werden. Bislang wurde bekannt, dass von sechs Bundesstützpunkten der in Frankfurt/Main seinen Status verliert. Die Stützpunktleiter sollen zudem Assistenten für ihre administrative Arbeit bekommen, um sich mehr um die Trainingsarbeit zu kümmern - Finanzierung noch unklar.

Droht nach Olympia nun auch eine WM ohne Edelmetall?

Das könnte passieren. „Wo sollen die Medaillen herkommen“, fragt Lambertz zu Recht. Er setzt auf einen Neuaufbau, der erst nach Jahren Früchte tragen soll. Im Becken von Barcelona sind im Sommer deutsche Edelmetall-Kandidaten nach dem Ausfall von Paul Biedermann rar. Steffen Deibler könnte nach seinem tollen Platz vier bei Olympia den nächsten Schritt machen. Lambertz spricht nicht von Medaillen, sondern von Zeiten-Verbesserungen. Bei der Heim-EM 2014 in Berlin wird und kann das dem Verband aber nicht mehr reichen.

Kann Britta Steffen an alte Erfolge anknüpfen?

„Vielleicht ist meine Zeit über 100 Meter Freistil einfach vorbei“, hatte Steffen in London nach ihrem Halbfinal-Aus erklärt. Seit Doppel-Gold bei der WM 2009 war keine Saison mehr frei von Krankheiten oder sportlichen Enttäuschungen. Nach ansprechendem Test vor drei Wochen nun der nächste Rückschlag. Die 29-Jährige hat weiterhin das Potenzial für Top-Zeiten. Medaillen werden aber immer schwieriger, denn die internationale Konkurrenz ist in den vergangenen Jahren deutlich stärker geworden als zu Steffens größten Zeiten.

Lambertz wird für seine kommunikativen Fähigkeiten gelobt. Kommt er damit beim DSV gut an?

Trotz entsprechender Kompetenzen will der Essener überzeugen statt verordnen - auch er weiß: Die Heimtrainer müssen seine Ideen mittragen. Da er weniger polarisiert als sein Vorgänger Dirk Lange, ist das Verhältnis zu Leistungssportdirektor Lutz Buschkow unkomplizierter. Bei seinen Reformen muss Lambertz allerdings ohne die anerkannte Arbeit von Diagnostik-Bundestrainer Markus Buck auskommen. Dieser wechselt im Sommer zum Schweizer Schwimmverband, an seine alte Wirkungsstätte nach Kreuzlingen.