Armstrong belastet früheren UCI-Chef Verbruggen

Miami (dpa) - Lance Armstrong packt aus. Der entthronte Tour-de-France-Rekordsieger hat den Rad-Weltverband (UCI) in den größten Dopingskandal mit hineingerissen und den früheren UCI-Boss Hein Verbruggen schwer belastet.

Nach Angaben des US-Amerikaners habe der heutige UCI-Ehrenpräsident mitgeholfen, 1999 eine positive Dopingprobe Armstrongs zu vertuschen. „Hein sagte nur: 'Das ist ein echtes Problem für mich, das ist der K.o.-Schlag für unseren Sport - ein Jahr nach Festina. So müssen wir uns etwas einfallen lassen.' Also haben wir das Rezept zurückdatiert“, sagte Armstrong in einem Interview der „Daily Mail“ mit Blick auf eine positive Probe bei der Tour de France 1999 auf Cortison.

Verbruggen, der langjährige Intimus des früheren IOC-Präsidenten Jacques Rogge, wollte den Fall gegenüber dem Internetportal Cyclingnews nicht kommentieren und war auf dpa-Anfrage nicht zu erreichen. In der Vergangenheit hatte der heutige UCI-Ehrenpräsident stets dementiert, an der Vertuschung von positiven Armstrong-Proben beteiligt gewesen zu sein. Dies schrieb er zuletzt auch an die nationalen Verbände: „Ich habe nie unangemessen gehandelt, mein Gewissen ist absolut sauber. Ich akzeptiere nicht, dass meine Integrität in Zweifel gezogen wird.“

Die Aussagen Armstrongs, der jüngst seine Bereitschaft zur Aufklärung der Doping-Vergangenheit im Radsport erklärt hatte, scheinen nur der Anfang von weiteren pikanten Details zu den früheren Machenschaften zu sein. Insbesondere die ominösen Geldspenden des früheren Tour-Dominators an die UCI in Höhe von insgesamt 125 000 Dollar aus den Jahren 2002 und 2005 könnten noch unangenehme Folgen für die frühere UCI-Spitze um Verbruggen und dessen im September durch Brian Cookson abgelösten Nachfolger Pat McQuaid haben. Armstrongs Ex-Teamkollege Floyd Landis hatte einst behauptet, der Superstar habe durch ein „finanzielles Abkommen“ mit Verbruggen einen positiven Epo-Test bei der Tour de Suisse verschwinden lassen.

Dass Armstrong zu dieser Angelegenheit weiter schweigt, darf Verbruggen nicht erwarten. „Glaubt nicht, dass ich die Kerle schütze, nachdem sie mich in dieser Weise behandelt haben. Ich werde ihnen gegenüber nicht loyal sein. Ich werde nicht lügen, um diese Kerle zu schützen. Ich hasse sie. Sie haben mich unter den Bus geworfen“, betonte Armstrong. Er werde sich im entsprechenden Forum zu allen Dingen äußern, zu denen er gefragt werde. Der neue UCI-Chef Cookson dürfte sich bald ihm melden. Der Brite hatte zusammen mit der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA eine Kommission zur Aufklärung des Doping-Zeitalters auf den Weg gebracht. Dabei sollen auch die Rollen von Verbruggen und McQuaid geklärt werden. Armstrong hofft mit seiner späten Öffnung offenbar mittels der Kronzeugen-Regelung auf eine Reduzierung seiner lebenslangen Sperre. Diesbezüglich hatte die WADA dem Hobby-Triathleten aber wenig Hoffnung gemacht.

Die UCI begrüßte die Bereitschaft Armstrongs zur Mithilfe. „Die Kommission lädt jeden Einzelnen ein, Beweise zur Verfügung zu stellen. Wir fordern alle Beteiligten auf, sich zu melden und der Kommission im Interesse des Radsports zu helfen“, teilte die UCI der dpa mit. Die Untersuchungskommission sei dabei, sich aufzustellen und befinde sich in Gesprächen mit den Anspruchsgruppen, um „eine vollständige Untersuchung der Anschuldigungen bezüglich Doping und einem Fehlverhalten der UCI zu ermöglichen“.

Armstrong wurde im vergangenen Jahr lebenslang gesperrt, alle Tour-Siege wurden ihm aberkannt. Hätte die UCI dem Reglement entsprechend gehandelt, wäre die Ära Armstrong 1999 erst gar nicht gestartet worden. Laut UCI-Regeln hätte er schon damals gesperrt werden müssen. Der Texaner war während der Tour viermal positiv auf Cortison getestet worden. Die UCI hatte die Nichtsanktionierung damit begründet, dass Armstrong ein Rezept für eine Wundsalbe eingereicht habe. Auf mindestens einem Kontrollbogen ist aber unter dem Punkt „Verwendete Arzneimittel“ handschriftlich „néant“ (nichts) eingetragen - unterschrieben unter anderem vom damaligen US-Postal-Teamchef Johan Bruyneel. Das hatte die französische Tageszeitung „Le Monde“ bereits im Januar dieses Jahres berichtet. Die nachträgliche Einreichung von ärztlichen Attesten bewahrt den Fahrer laut Artikel 43 des UCI-Regelwerks von 1999 nicht vor einer Strafe.

Auch Armstrongs frühere Betreuerin Emma O'Reilly hatte über die Betrügereien schon vor Jahren berichtet und war daraufhin von ihm massiv unter Druck gesetzt worden. Die „Daily Mail“ brachte beide in Miami an einen Tisch. Armstrong zeugte sich reumütig. Sein Verhalten sei „unentschuldbar“ und „peinlich“ gewesen.