Armstrongs provozierendes Tour-Comeback

Le Vernet (dpa) - 100 aufgeregte Journalisten und 18 Kamerateams wollten Lance Armstrong bei seiner skurrilen Comeback-Show ganz nah sein - wie früher. Dabei weitete sich der Parkplatz vor dem Supermarkt „Leader Price“ in Le Vernet sogar zur Kampfzone aus.

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Déjà-vu in Frankreich: Die Rückkehr der Unperson des Radsports zur Tour de France nach seiner Enttarnung als Hochleistungs-Doper geriet - wie wohl beabsichtigt - zum großen Hype. Ähnlich bedrängt worden war Armstrong auch bei seinem Tour-Abschied 2010.

Diesmal hatte er sich selbst eingeladen. Der prominente Texaner war aktiver Gast des Wohltätigkeitsrennens des britischen Ex-Fußballer Geoff Thomas auf den Spuren der 102. Tour. Der geheilte Krebspatient Armstrong („Ich bin nicht besonders in Form“) strampelte für Leukämie-Kranke. Online kann gespendet werden, schon über 600 000 Pfund sind bei der Thomas-Aktion bisher zusammengekommen.

„Das ist ein spezielles Rennen und ein spezieller Tag. Geoff hat etwas Großartiges ins Leben gerufen“, sagte Armstrong und gab zu: „Ich verstehe, dass es Vorbehalte gibt.“ Aber er rechtfertigte seinen umstrittenen Auftritt: „Ich bin hier für Geoff und seine Charity. Die sammeln viel Geld, um Leben zu retten. Das Letzte was ich will, ganz ehrlich, ist von einem großen Radrennen ablenken.“ Trotz der guten Absicht musste sich der lebenslang gesperrte Armstrong, dessen sieben Toursiege ihm vor zweieinhalb Jahren aberkannt worden waren, über Gegenwind nicht wundern.

Besonders der Mann im Gelben Trikot, den ausgerechnet Armstrong am Vortag via Twitter des Dopings verdächtigt hatte, wollte von dem Gast aus Texas nichts wissen. „Wir sehen es nicht so, dass er zur Tour zurückkehrt. Er steht nicht mit uns an der Startlinie. Das ist kein Ereignis für uns Fahrer“, sagte Chris Froome, der die lobenswerte Absicht generell begrüßte. Seine Mutter war an Blutkrebs gestorben.

Auch dem Froome-Chef Dave Brailsford stieß das für viele provozierende Comeback bitter auf: „Lance hat bei der Tour genug Schaden angerichtet. Er ist zurückgekommen, als er es besser nicht getan hätte. Und ich denke, er hätte es auch dieses Mal lassen sollen.“ Armstrongs alter Rivale Jan Ullrich befürwortete das Engagement seines einstigen Dauer-Bezwingers, „trotz der vielen Probleme, die er aufgrund seiner Vergangenheit immer noch hat“.

Armstrong kann indes nicht verstehen, dass er so geächtet wird. „Warum bin ich nicht willkommen? Weil ich ein Doper bin? Wenn das die Regeln sind, ist die Karawane fast leer. Ich meine nicht die Fahrer, sondern den Presseraum, die Kommentatoren-Boxen, die Teamautos. Wir sind alle in einer unglücklichen Ära gefahren“, meinte der Medienprofi und spielte etwa auf die Rolle des ebenfalls belasteten Ex-Weltmeisters Laurent Jalabert als TV-Experte an.

Um 7.37 Uhr rollte ein riesiger blauer Bus, ähnlich dem imposanten Team-Fahrzeug des aktuellen Tour-Leaders Froome, auf den Parkplatz des eher tristen Vorortes von Toulouse. In den heruntergekommenen Häusern ringsherum waren die Fensterläden noch zugeklappt. Nach langem Warten begann um 8.00 Uhr die Show: Der Star a.D. trat aus dem Bus, presste ein: „Hi Boys“ hervor, hatte wegen der Reporter-Meute aber kaum Luft zum atmen. Er gab im Chaos dennoch bereitwillig und geradezu freundlich Auskunft, wollte losfahren und stoppte noch mindestens viermal, um zu reden.

Zwölf Minuten später gab der von Leukämie geheilte Thomas das Kommando zur Abfahrt. Elf Radsportler, inklusive Armstrong, etwas grauer als bei seinem letzten Auftritt in Frankreich, machten sich auf den Weg der 13. Etappe. Einen Tag später werden die Profis am selben Ort ihre Tour fortsetzen. Die Charity-Radler sind jeweils einen Tag vorher auf der Strecke und bewältigen so die 3360 Kilometer von Utrecht bis Paris. Armstrong ist an zwei Tagen ihr Gast - und Garant für weltweite Aufmerksamkeit. Vier Begleitwagen folgten dem kleinen Peleton in Richtung Rodez.

Nach seinen jüngsten Dopingandeutungen in Richtung Froome hielt sich Armstrong mit neuen Provokationen zurück. „Das ist nicht mein Job, das zu beurteilen“, meinte er vor dem Start zu seiner Charity-Etappe.

Am Donnerstag versuchte Armstrong, der am Vorabend aus Denver in Toulouse eingetroffen war, die Wogen zu glätten: „Viele Leute sehen, wie sein Stil, seine Leistung ist. Sie sehen die Zeitabstände und seinen Rhythmus. Und sie sagen: Dieser Kerl ist einer von ihnen“, sagte Armstrong und meinte mit „ihnen“ die Doper. „Wer auch immer die Tour 2015 gewinnt, sollte nicht Fragen über jemanden beantworten, der vor zehn oder 15 Jahren gewonnen hat. Ich wollte Chris nicht in Zweifel stellen“, erklärte er weiter.

Und dann fragte beim großen Brimborium noch ein Spanier: „Ist die Tour sauber?“ Armstrong dreht sich um und fragt zurück: „Wie soll ich das beantworten?“ Antwort: „Sie sind doch der Experte.“ Gute Fahrt.