Degenkolb jubelt - Greipel hört vernichtende Diagnose
Brüssel (dpa) - Den Jubel John Degenkolbs nach seinem Triumph in Wevelgem noch im Ohr, musste André Greipel die vernichtende Diagnose im Krankenhaus zur Kenntnis nehmen: Doppelter Bänderriss in der Schulter - monatelange Wettkampfpause.
Er wurde noch in der Nacht operiert, eine eingesetzte Spezialplatte fixiert den Halteapparat zwischen Schulter und Schlüsselbein. Ein Sturz acht Kilometer vor dem Ziel hatte den deutschen Straßenmeister bei der 76. Austragung des belgischen Klassikers Gent-Wevelgem aus allen Siegträumen gerissen.
„Die Beine waren da, die Mannschaft war da, die Chance war da - und dann lag das Fahrrad da: keine Möglichkeit, den freien Flug zu verhindern“, schilderte Greipel die Unfall-Situation via Twitter, als er über das Rad des vor ihm zu Fall gekommenen US-Profis Tyler Farrar gestürzt war. Zum Schluss seiner Mitteilung vergaß er nicht, Degenkolb für seinen taktischen Coup zu gratulieren.
Der 25 Jahre alte Thüringer hatte von Greipels Sturz nichts mitbekommen. An der Spitze einer etwa 40 Fahrer starken Gruppe hatte er sich zusammen mit dem bulligen Topsprinter über die letzten giftigen Anstiege gequält. Und diesmal lief es für Degenkolb im Finale „100 Prozent besser“ als vor einer Woche bei Mailand-San Remo, als ihn am Fuß des Poggio eine Reifenpanne gestoppt hatte. „Das war wahrscheinlich einer der enttäuschendsten Momente meiner Karriere, aber jetzt habe ich das vergessen“, sagte Degenkolb am Sonntag nach der 233 Kilometer-Schufterei mit Happy End. „Ich fühle mich großartig“, schrieb er auf seiner Homepage.
Der Giant-Shimano-Kapitän lieferte ein taktisches Meisterstück ab und wies Peter Sagan, der zwei Tage zuvor den E-3-Preis von Harelbeke gewonnen hatte, diesmal in die Schranken. Degenkolbs Teamkollege Koen de Kort brachte ihn an das Hinterrad des siegessicheren Slowaken. Im genau richtigen Moment scherte Degenkolb aus und holte sich nach seinen Erfolgen in Frankfurt, Hamburg und Tours den vierten Sieg in einem großen Eintagesrennen. „Mein Timing im Sprint war perfekt. Ich war nicht zu früh und nicht zu spät“, erklärte der Sieger. Sieben Jahre nach Marcus Burghardt jubelte wieder ein deutscher Radprofi in Wevelgem.
Vielleicht hält seine Erfolgssträhne an: Am Sonntag folgt die Flandern-Rundfahrt und nicht nur Degenkolb hat gemerkt: „Meine augenblickliche Form ist ein gutes Zeichen für die nächsten großen Rennen.“ Nach seinem Start in Frankfurt am 1. Mai legt er eine Pause ein und bereitet sich intensiv auf die Tour de France vor, bei der sich Degenkolb endlich den ersten Etappensieg gutschreiben will. Im Vorjahr war Sagan in Albi kurz vor ihm über den Zielstrich gesprintet und hatte den gebürtigen Geraer tief gefrustet.
Zumindest das Frühjahr ist für Greipel gelaufen, wie sein Team mitteilte. Nach seinem Sturz hatte er sich in seinem Mannschafts-Fahrzeug noch von Teamchef Herman Frison ins Ziel bringen lassen. Dort war er trauriger Zeuge des Trubels um Degenkolb, bevor es für ihn Richtung Krankenhaus ging.
„Wie lange er ausfällt, weiß er im Moment selber nicht - das ist alles großer Mist, aber es geht ihm ganz gut“, berichtete am Montag Greipels Teamkollege und beste Kumpel Marcel Sieberg der Nachrichtenagentur dpa. Greipel hatte am Morgen schon wieder zuversichtlich geklungen. „Ich habe im Krankenhaus nette Gesellschaft zum Frühstück“, twitterte er.
Viele Teams hatten Sturzopfer zu beklagen. Beim deutschen Zweitligisten NetApp brach sich der Österreicher Daniel Schorn das Schlüsselbein und zwei Rippen. Der Brite Ian Stannard ist mit Rückenverletzungen noch im Krankenhaus. Dessen Teamkollege Christian Knees kritisierte das Verhalten einiger Draufgänger. „Manchmal scheint es, als würden einige jedes Risiko in Kauf nehmen, nur um vorne dabei zu sein“, schrieb der Bonner auf seiner Website.
Knees selbst versuche, „das Risiko immer halbwegs zu kalkulieren und möglichst nichts Unsinniges zu machen. Ich habe immer meine Familie im Hinterkopf und den Gedanken, dass es auch ein Leben neben dem Sport gibt“.