Holczer: „Ich wünsche mir Erfolg ohne Nachwehen“
Der ehemalige Gerolsteiner-Chef Hans-Michael Holczer über seinen Start beim Rad-Team Katjuscha.
Herrenberg (DK). Der Anti-Doping-Verfechter Hans-Michael Holczer war zehn Jahre lang Teamchef des Profi-Radsport-Teams Gerolsteiner. Nach den positiven Dopingfällen seiner Schützlinge Stefan Schumacher, Davide Rebellin und Bernhard Kohl trat er zurück. Drei Jahre lang machte er Pause und arbeitete als Lehrer im schwäbischen Böblingen. Seit einem guten Monat ist er zurück auf der Radsportbühne. Seither führt Holczer das russische Team Katjuscha. Über seine ersten Tage bei Katjuscha, das Thema Doping und seine Ziele sprach er mit DK-Redakteur Timo Schoch.
Herr Holczer, lieben Sie russisch Roulette?
Hans-Michael Holczer: Überhaupt nicht.
Warum haben Sie dann nach Ihrer dreijährigen Pause ausgerechnet bei dem Rennstall angeheuert, der während der diesjährigen Tour de France durch den einzigen Dopingfall aufgefallen ist?
Holczer: Katjuscha hatte aber nicht den einzigen Dopingfall in diesem Jahr. Da gab es noch weitere, von anderen Rennställen. Allerdings sollte ich mich zügeln mit Kommentaren zu diesem Thema. Ich habe am eigenen Leib erfahren, wie schnell man positive Fälle im eigenen Team hat. Zu meiner Zeit bei Gerolsteiner habe ich — frei auf Schwäbisch — gesagt: Aufgepasst wie ein Schießhund. Und was kam dabei heraus? Drei Positive in fünf Monaten.
Wie wollen Sie Doping bei Katjuscha kontrollieren?
Holczer: Gar nicht. Dafür gibt es die Dopingkontrollen. Ich habe ja selbst erkennen müssen, wie begrenzt die Möglichkeiten eines Teams sind. Man kann nur keine Toleranz üben, vorsichtig und wachsam sein. Nur ein Beispiel: Bei Gerolsteiner waren wir extrem sensibilisiert. Weil die positiv getesteten Schumacher, Rebellin und Kohl das Doping nicht mit Hilfe der Mannschaft besorgen konnten, sind sie weite Wege gegangen. Sie haben fremde Menschen ins Hotel geschickt, die ihnen das Blut gebracht haben. Als Team ist man dagegen machtlos.
Hört sich an, als hätten Sie resigniert.
Holczer: Meine Einstellung dem Doping gegenüber hat sich nicht verändert. In den vergangenen Jahren habe ich immer gesagt: Wir müssen uns diesem Problem stellen und müssen uns damit arrangieren. Das heißt nicht, Doping zu legalisieren, zu tolerieren, oder zu akzeptieren. Wir müssen uns nur der Realität stellen. Das bedeutet: Es kann passieren, dass der strahlende Sieger — egal in welcher Sportart — vom Podium steigt und es Tage später eine Meldung gibt, die das ganze im anderen Licht erscheinen lässt. Mit einer solchen Situation müssen wir normaler umgehen und nicht jedes Mal so tun, als würde die Welt zusammenbrechen.
Ist es deshalb eine Utopie, dass es Radsport ohne Doping gibt?
Holczer: Das ist dieselbe Utopie, wie wenn es Sport ohne Doping gäbe. Wir müssen es für Doper so schwer wie möglich machen und es nicht dulden. Und: Doping ist ein Problem des gesamten Sports.
Die Ergebnisse der deutschen Fahrer tragen aber dazu bei, dass sich das Image langsam wandelt.
Holczer: Das ist ja gerade der Ausdruck der deutschen Krise im Radsport: Wir haben hier mit die besten Fahrer. Das hat die diesjährige Weltmeisterschaft in Kopenhagen gezeigt. Wir haben in Deutschland mit die besten sportlichen Leiter, gute Leute im Team-Management und die besten Trainer. Aber es gibt derzeit keine deutsche Profi-Radsport-Mannschaft der ersten Kategorie.
Stellen Sie deshalb quasi ein Russisch-Deutsches Team zusammen?
Holczer: Ich habe eine Mannschaft übernommen, die praktisch komplett war. Deshalb sind in diesem Bereich meine Möglichkeiten begrenzt. Nur durch Verschiebungen von zwei Sportlern, hatte ich etwas Spielraum. So kam der dreifache Weltmeister Oscar Freire dazu. Mehr Spielraum hatte ich im Management-Bereich. Diesen habe ich auch genutzt. Da gibt es eine ganze Reihe von Leuten, die ich geholt habe. Ich bringe andere Ansätze mit und implementiere eine andere Struktur. Alles nach dem Motto: Für meine besten Fahrer will ich auch das beste Material und das beste Personal.
Auch ehemalige Profis haben Sie geholt.
Holczer: Erik Zabel ist der neue Sprint-Trainer. Der ehemalige Zeitfahrspezialist Michael Rich ist Equipment-Manager. Sebastian Weber, dessen Institut Tony Martin und Andre Greipel betreut, kümmert sich um die Sportwissenschaft.
Stichwort Tony Martin: Wäre das nicht ein Fahrer für Katjuscha?
Holczer: In diesem Fall kam meine Berufung vermutlich ein paar Tage zu spät.
Das heißt ja nicht, dass er vielleicht nicht doch im Laufe des kommenden Jahres einen Vertrag bei Ihnen unterschreiben könnte.
Holczer: Für Spekulationen ist es zu früh. Wir werden mit den Fahrern, die wir haben, arbeiten und versuchen erfolgreich zu sein. Es sind ja genügend Fahrer mit Potenzial dabei. Der Spanier Joaquim Rodriquez beispielsweise hat vergangenes Jahr die World Tour gewonnen. In diesem Jahr wurde er Vierter.
Welche Ziele verfolgen Sie mit Katjuscha?
Holczer: In erster Linie geht es um die erfolgreiche Förderung des russischen Radsports, sowohl national, wie international.
Was wollen Sie verbessern?
Holczer: Bislang rekrutierte Katjuscha zu wenig aus den eigenen Reihen. Mein Ziel ist es, dass wir in der Lage sind, mehr Fahrer aus dem eigenen Nachwuchs in die Weltspitze zu führen. Denn hier kann ich von Beginn an auf das Training einwirken und so die Sportler heranziehen. Deshalb muss die Arbeit innerhalb der verschiedenen Mannschaften effektiver werden.
Welche Rolle nehmen Sie bei Katjuscha ein?
Holczer: Ich bin General-Manager des Katjuscha Projekts und verantwortlich für das Pro-Tour-Team, ein Continental-Team und zwei Nachwuchsteams.
Bei Gerolsteiner waren Sie Teamchef. Was ändert sich im Vergleich zu Katjuscha?
Holczer: Teamchef bin ich hier auch. Aber die Organisation ist größer. Der wesentliche Unterschied zu Gerolsteiner ist jedoch, dass ich bei Katjuscha angestellt bin. Bei Gerolsteiner hat meine Firma das Radteam betrieben. Da hatte ich ein wirtschaftliches und finanzielles Risiko. Das habe ich nun nicht. Es ist ein Projekt, von dem ich immer geträumt habe — selbst zu Gerolsteiner-Zeiten.
Wie lange ist das Projekt angelegt?
Holczer: Der Vertrag des Hauptsponsors ist auf drei Jahre verlängert worden. Mein Vertrag geht sogar noch länger.
Den Sie sich gut zahlen lassen.
Holczer: Das Lukrative steht im Hintergrund, weil es eben ein extrem reizvolles Projekt ist. Aber der Schritt, mich aus dem Beamtenverhältnis entlassen zu lassen, musste ich mir gut überlegen. Spöttisch gesagt: Falls ich 90 Jahre alt werden sollte, mache ich Miese.
Was hat Ihnen die dreijährige Auszeit gebracht?
Holczer: Eine relative Entspanntheit. Wenn ich die Zeit für 20 Jahre hätte anhalten können, hätte ich sie festgehalten. Aber durch meine Auszeit habe ich auch einige Informationen bekommen, die ich als potenzieller Vertragspartner oder Teamchef nie erhalten hätte. Das hat schon zu einem Erkenntnisgewinn beigetragen.
Was wünschen Sie sich für das Katjuscha-Projekt?
Holczer: Erfolg ohne Nachwehen.