Lötzsch in der „Hall of Fame“

Berlin (dpa) - Wolfgang Lötzsch hat den wohl traurigsten Krimi des einst real existierenden DDR-Sports geschrieben. Stasi-Verfolgung, konstruierte Anklagen, Gefängnisstrafe, jahrelange Aussperrung von allen großen Rennen und heimliche Starts:

Die DDR hat ihr größtes Radsport-Talent der 70er und 80er-Jahren komplett ausgebremst. Die zerstörte Karriere des Wolfgang Lötzsch und seine Unbeugsamkeit waren für die Deutsche Sporthilfe (DSH) der Grund für die Aufnahme in die „Hall of Fame“ des deutschen Sports in der Sonderkategorie „besondere Biografie durch die DDR-Zeit“. Späte Genugtuung für einen von der Diktatur Geächteten.

„Als ich von der Sporthilfe angerufen wurde, konnte ich das kaum glauben. Das war eine Überraschung und Riesen-Ehre für mich, mit den ganz Großen des Sports in einem Atemzug genannt zu werden. Ich freue mich sehr auf die Ehrung und habe dafür die Bayern-Rundfahrt abgesagt, bei der ich als Mechaniker arbeiten sollte“, erklärte Lötzsch.

Der am 18. Dezember 1952 in Chemnitz geborene Radsportler wurde als 19-Jähriger wegen Westkontakten und der Weigerung des Parteieintritts von der Stasi kaltgestellt - und 1972 aus seinem damaligen Verein SC Karl-Marx-Stadt sogar „ausdelegiert“. Das bedeutete die Entwurzelung aus dem Leistungssportsystem, Abnabelung von jeglicher Förderung, Isolation und gleichzeitige Überwachung auf Schritt und Tritt.

Die DDR verzichtete ausgerechnet beim Klassenfeind in München bei den Olympischen Spielen auf einen Medaillen-Garant. Sein außergewöhnliches Talent war unbestritten - erstmals übertraf ein Fahrer die medizinischen Werte des legendären Täve Schur. Aber Lötzsch ließ sich nicht restlos abschieben - ohne sein Rad konnte und wollte der elegante Techniker nicht leben. Nach seiner Demission siegte er einfach weiter - als Hobbyradler der BSG Wismut und anderer Betriebssportgemeinschaften und schlug dabei die DDR-Elite Olaf Ludwig und Uwe Ampler.

1976 wurde er wegen „Staatsverleumdung“ im Abschluss an einen feuchtfröhlichen Polterabend zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt und war bis 1979 für alle Rennen gesperrt. In seiner 1 500 Seiten starken Opferakte begegnete Lötzsch, dessen Schicksal im Dokumentarfilm „Sportsfreund Lötzsch“ geschildert wird, später etwa 50 Stasi-Spitzeln. Drei Ausreiseanträge wurden abgelehnt.

In seinem ersten Rennen nach der Sperre deklassierte er der Reihe nach DDR-Kaderathleten. In der Slowakei siegte er 1981 bei einem heimlichen Start im Alleingang mit fast fünf Minuten vor dem wenige Wochen später gekürten Weltmeister Andrej Wedernikow aus der UdSSR. 1983 gewann er den Klassiker Rund um Berlin, 1986 das damals weltweit längste Amateurrennen Prag-Karlsbad-Prag. Die politische Wende kam zu spät für ihn - anders als Ludwig und Ampler war er 1989 für den Übertritt ins Profilager zu alt.

Sein letztes Rennen bestritt Lötzsch im Alter von 42 Jahren 1995 in Chemnitz. Er holte den 550. Sieg seiner Karriere, Bundespräsident Roman Herzog verlieh ihm das Bundesverdienstkreuz. Zuletzt arbeitete der heute 59-Jährige als Mechaniker im unterklassigen Radsportteam NSP. Davor durfte er in gleicher Funktion bei den damaligen Topteams Gerolsteiner und Milram wenigstens noch am großen Radsport schnuppern.