Macht Großbritannien - mit Millionen an die Spitze
London (dpa) - Es waren imposante Bilder, die vom dreitägigen Auswärtsspiel der Tour de France in die Welt hinausgingen. Mehrere Millionen Menschen sorgten an den drei Tagen in England für eine einzigartige Radsport-Party.
Mit dem Grand Depart in Leeds bishin zur beeindruckenden „Stadtrundfahrt“ durch London haben die Veranstalter neue Maßstäbe gesetzt - und zugleich die neuen Machtverhältnisse im Radsport dokumentiert.
„Rule Britannia“ heißt es seit geraumer Zeit, UK Cycling hat längst die traditionellen Radsport-Nationen wie Frankreich, Spanien oder Italien ein- oder gar überholt. In Bradley Wiggins und Christopher Froome kommen die letzten beiden Toursieger ebenso aus Großbritannien wie Ex-Weltmeister Mark Cavendish, auch wenn dieser nach seinem Sturz zum Auftakt bereits ausstiegen musste. Sogar der Weltverbandspräsident ist ein Engländer, seit September vergangenen Jahres steht Brian Cookson an der Spitze der UCI.
„Es war eine unglaubliche Reise, die wir in den letzten 10, 15 Jahren zurückgelegt haben“, sagt Dave Brailsford stolz. Der Glatzkopf ist die zentrale Figur der britischen Erfolgsgeschichte. Den Bahnradsport hatte er mit einem zentralisierten System in Manchester umstrukturiert und an die Weltspitze geführt, dann realisierte er seinen Traum von einem britischen Radrennstall. Anfangs belächelt startete er als Sky-Teamchef 2010 mit dem Ziel, in den nächsten fünf Jahren einen britischen Toursieger zu stellen. Am Ende der Planperiode könnten es gar drei Triumphe werden.
„Think big“, heißt Brailsfords Credo. „Wenn man in einen Sport hineingeht und nicht nach dem Größten strebt, ist es das nicht wert.“ Heute lächelt keiner mehr über ihn. Seine Radsportler haben 2008 und 2012 jeweils acht Goldmedaillen bei Olympia abgeräumt, zwischen 2003 und 2013 waren es imposante 59 Titel bei Weltmeisterschaften.
Den Erfolg haben sich die Briten einiges kosten lassen. Fast 35 Millionen Euro beträgt das Bahnradsport-Budget, den deutschen Assen steht nicht einmal ein Zehntel davon zur Verfügung. Die englischen Nationalfahrer sind alle Vollprofis, was den Sprung auf die Straße erleichtert. Bei Sky beträgt das Budget mehr als zehn Millionen Euro und der zweite Tour-Start soll die Gastgeber mehr als 30 Millionen Euro gekostet haben. Gut angelegtes Geld, so soll der Tour-Abstecher der englischen Wirtschaft das Dreifache an Einnahmen bescheren.
Und der Boom gibt den Verantwortlichen recht. Regelrecht Radsport-verrückt zeigten sich die Engländer. Entlang der Strecke herrschte Volksfeststimmung, die Royals um Herzogin Kate kamen zur Auftaktetappe, sogar Schafe wurden in den Farben der Tour-Trikots angepinselt. Englische Farmer erzielten stolze Einnahmen bei der Vermietung ihrer Toiletten und Weiden. Dagegen war der Radsport-Hype in Deutschland um Jan Ullrich und Co. eine Nummer kleiner.
Doch die Frage bleibt, wie nachhaltig der Erfolg ist. Nur vier der 198 Fahrer kommen aus Großbritannien, was Ex-Weltmeister Chris Boardman „enttäuschend nennt“. Davon ist Toursieger Froome in Kenia geboren und in seiner Heimat längst nicht so akzeptiert wie Bradley Wiggins, für den im Sky-Tourteam kein Platz mehr war. Die Zeit von Wiggins (34) neigt sich ohnehin dem Ende zu. Froome ist 29, wie auch Cavendish, der aber längst nicht mehr so schnell sprintet wie noch vor ein paar Jahren.
Was kommt danach? Erreichen die Erfolge ein Normalmaß, muss sich die Boom-Sportart beweisen. In Deutschland erlebte der Radsport nach all den Dopingskandalen eine Bruchlandung. Das werde in Großbritannien nicht passieren, sagt Froome. Seine Erfolge hätten auch in Jahrzehnten noch Bestand. Die Skepsis bleibt.