Tour brutal: Hitze, Stürze und Anfeindungen
La Toussuire (dpa) - Die Bilder aus dem Zielbereich der 102. Tour de France wiederholen sich fast täglich. Fahrer, die völlig erschöpft auf dem Boden sitzen und am Ende ihrer Kräfte sind.
„Die Tour frisst mich auf“, sagt der von einem Sturz schwer gezeichnete Vorjahreszweite Jean-Christoph Peraud. Das Credo im Peloton ist nahezu einhellig: Selten war die Frankreich-Rundfahrt so hart wie in diesem Jahr. Ein Überblick über die Gründe:
STRECKE: Rollte sich die Tour in früheren Jahren mit zahlreichen Flachetappen langsam ein, ging es diesmal schon in der ersten Woche zur Sache. Sei es die Windkanten-Etappe nach Zeeland, das harte Kopfsteinpflaster nach Cambrai oder die anspruchsvollen Ankünfte an der „Mur von Huy“ und der „Mur-de-Bretagne“. Wer an den ersten Tagen nicht aufpasste, hatte gleich einen kaum wieder gut zu machenden Zeitrückstand. Die Tour-Organisation wollte ein Spektakel, und bekam es auch. „Es ist eine Sprint-unfreundliche Tour“, monierte André Greipel, der das Beste aus der Situation machte und drei seiner vier Chancen zu einem Etappensieg nutzte. Auch in den Bergen geht es alles andere als gemächlich zu. Fünf schwere Bergankünfte, dazu gefährliche Abfahrten ließen den Favoriten keine Zeit zum Verschnaufen.
HEKTIK: Der deutsche Meister und Tour-Neuling Emanuel Buchmann staunte nicht schlecht. „Es ist sehr unangenehm, hier zu fahren. Im Feld geht es hektisch zu. Alle wollen vorn fahren“, sagte der 22-Jährige. Schon früh auf den Etappen werden die Ellbogen ausgefahren, keiner will Zeit verlieren. Die Teams der Sieganwärter wollen im Vorderfeld ihre Kapitäne schützen, dazu suchen die kleineren Teams angesichts der großen Medienpräsenz ihre Chance. Nicht einmal vermeintliche Überführungsetappen sorgen für Entspannung. Die Folge: Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von über 40 km/h gehört die Tour 2015 zu den schnellsten.
STÜRZE: Aufgrund der Unruhe im Peloton sind fast traditionell Stürze programmiert - und die gab es wieder einmal zuhauf. Gleich zwei Fahrer mussten sich im Gelben Trikot von der Tour verabschieden: Fabian Cancellara erwischte es bei einem schlimmen Massensturz auf dem Weg nach Huy, als er sich wie schon im Frühjahr zwei Lendenwirbel brach. Drei Tage später war für Tony Martin die Triumphfahrt mit einem Schlüsselbeinbruch vorbei. Schlimm auch der Sturz von Jean-Christophe Peraud, der auf dem Weg nach Mende über den Asphalt rutschte und schmerzhafte Prellungen und Schürfwunden erlitt. „Vor allem in der ersten Woche geht es zu wie in einem Bienenschwarm“, sagt Tour-Arzt Florence Pommerie, der die Sturzquote aber ähnlich hoch sieht wie in den vergangenen Jahren.
HITZE: Schon beim Start in Utrecht zeigte das Thermometer 38 Grad an. Und die große Hitze begleitete die Fahrer auch an den folgenden Tagen auf dem Weg nach Paris. Besonders schlimm war es im Zentralmassiv, als 40 Grad gemessen wurden. Die Fahrer versuchten sich mit Eiswesten wieder auf Normaltemperatur zu bringen. „Ich habe so gelitten, dass ich nicht einmal schreien konnte“, sagte Albert Timmer vom deutschen Giant-Alpecin-Team nach einer Hitze-Etappe.
ATMOSPHÄRE: Am Streckenrand herrscht mitunter eine vergiftete Atmosphäre. Gerade die britische Sky-Mannschaft, die im Mittelpunkt ständiger Verdächtigungen in Frankreich steht, wird angefeindet. Tiefpunkt war die Urin-Attacke gegen Spitzenreiter Christopher Froome. Sein Helfer Richie Porte bekam einen Schlag in die Rippen. Dazu sollen volle Coladosen gegen das Sky-Teamfahrzeug geflogen sein. Beim Showdown ins Radsport-Mekka L'Alpe d'Huez könnte sich die Stimmung weiter aufheizen.