Der chinesische Königsweg

Li Na gilt als eines von vielen Talenten, die sich im Reich der Mitte entwickeln.

Düsseldorf. Sie schien ihren Triumph selbst dann noch nicht richtig fassen zu können, als er bereits einige Minuten feststand. Li Na hielt sich immer wieder die Hände vor das Gesicht und freute sich geradezu euphorisch über ihren sensationellen Dreisatzerfolg gegen Venus Williams bei den Australian Open in Melbourne. 2:6, 7:6 (7:4), 7:5 hatte die Chinesin gegen die haushohe Favoritin gewonnen und damit das vollbracht, was ihrer Landsmännin Zheng Jie gegen Maria Kirilenko bereits tags zuvor gelungen war. Beide Chinesinnen sind in das Halbfinale eines Grand-Slam-Turniers eingezogen. Einen solchen Erfolg hat es im asiatische Tennis noch nie zuvor gegeben. "Ob es der größte Sieg meiner Karriere ist, kann ich noch nicht sagen. Es kommen bei diesem Turnier ja noch Spiele", sagte sie.

Das Selbstbewusstsein der 27-Jährigen ist derzeit enorm groß. Auch deshalb, weil Li Na ahnt, dass sie solch große Siege auch künftig für sich verbuchen kann und nicht das Resultat eines plötzlichen Formhochs sind.

Im Zuge der Olympiabewerbung 2008 hatten sich die chinesischen Funktionäre auch den "Weißen Sport" auf ihre Agenda gesetzt. Schließlich gibt es auch in dieser Disziplin Medaillen zu gewinnen. Kinder und Jugendliche wurden an aus dem Boden gestampften Stützpunkten systematisch im ganzen Land gefördert. Rund 400 Trainer erhielten eine professionelle Ausbildung. Mittlerweile gibt es in dem Riesen-Reich rund eine Million aktive Spieler. Anfang der 90er Jahre waren es gerade einmal 10.000.

Einen zusätzlichen Schub erhielt der Sport, weil die neuen chinesischen Oberschichten diese westlichen Aktivitäten wie Tennis und Golf auch selber gerne spielen wollten. Zudem engagierte sich auch der Weltverband ITF. Li Na selbst trainierte bereits im Jahr 2005 unter professionellen Bedingungen mit Thomas Hogstedt, dem heutigen Trainer von Thomas Haas.

Erste sportliche Erfolge, zumindest im Doppelwettbewerb, konnten die Chinesinnen bereits bei Olympia 2004 in Athen erzielen, als Li Ting und Sun Tiantian die Goldmedaille gewannen. Zwei Jahre später holte Zheng mit ihrer Partnerin Yan Zi in Melbourne erstmals einen Grand-Slam-Titel in der Doppelkonkurrenz.

"Tennis wird bei uns größer und größer", sagt Li Na. "Es kommen auch immer mehr Journalisten mit und berichten über uns." Vor allem wird der Sport auch immer attraktiver für die Chinesen. Statt wie bisher 60 Prozent muss Li Na nach Verhandlungen mit dem Verband nur noch zwölf Prozent ihres Preisgelds abgeben, was sicher einen zusätzlichen Erfolgs-Anreiz ausmacht. "Ich wollte in diesem Jahr unter die besten Zehn vorstoßen", sagte sie, "und jetzt ist erst Januar." Die Konkurrenz sollte diese Ankündigung durchaus ernst nehmen. jst/dpa