Kein Sampras in Sicht - Krise der US-Tennisherren
London (dpa) - Pete Sampras war zu Tränen gerührt. Ungläubigen Blickes streckte er die Arme in die Höhe und schritt, von Gefühlen überwältigt, über den „heiligen“ Rasen.
6:7, 7:6, 6:4, 6:2 leuchtete auf der Anzeigetafel auf. Zum siebten Mal hatte der damals 29-Jährige an jenem 9. Juli 2000 im Finale gegen Pat Rafter in Wimbledon gewonnen. Es sollte sein letzter Triumph im All England Lawn Tennis Club sein - und der vorerst letzte eines Tennisspielers aus den USA.
14 lange Jahre wartet die einst so stolze Tennisnation nun schon auf einen Sieg beim bedeutendsten Turnier der Welt. Und auch bei der Neuauflage des am Montag in London beginnenden Grand-Slam-Klassikers wird es wohl keinen Sieg-Nachfolger des einst ehrfürchtig genannten „Pistol Pete“ aus den USA geben. So viel lässt sich in Zeiten von Rafael Nadal, Novak Djokovic, Andy Murray, Roger Federer schon jetzt spekulieren.
„Das ist eine andere Liga“, sagte der inzwischen 42-jährige Sampras, der frühere Weltranglisten-Beste, vor kurzem dem „Tennismagazin“. „Wir Amerikaner wurden überholt vom Rest der Welt.“ Eine Serena Williams ist trotz ihrer 32 Jahre noch immer schwer zu stoppen, ihre männlichen Kollegen dagegen nehmen in den entscheidenden Phasen der großen Turniere seit Jahren stets die Zuschauerrolle ein. Der große Glanz der Zeiten von John McEnroe, Jimmy Connors oder Sampras und Andre Agassi fehlt.
„Die anderen sind besser geworden“, erklärte Sampras, der 14-fache Grand-Slam-Sieger und einstige Rivale von Boris Becker. „Ich glaube, dass wir Amerikaner meilenweit zurückliegen, und ich weiß keine Antwort darauf.“ In Wimbledon war an dem aufschlagstarken Sampras zwischen 1993 und 2000 kaum ein Vorbeikommen, gleich sieben Titel gingen an den Rasen-Dominator der 90er Jahre aus Maryland.
Der aktuell größte Hoffnungsträger der USA heißt John Isner, die Nummer elf der Welt, Nummer neun der Wimbledon-Setzliste. 2010 stellte der Amerikaner in Wimbledon beim 70:68 im fünften Satz nach 11:05 Stunden gegen den Franzosen Nicolas Mahut einen Rekord für die Ewigkeit auf. Ein Viertelfinale in New York vor drei Jahren war sein größter Erfolg bei einem der vier wichtigsten Turniere. Der Aufschlag-Riese ist der einzige US-Mann unter den Top 60. Es folgen Steve Johnson und Donald Young auf den Rängen 68 und 69.
Seit 2003, dem US-Open-Sieg von Andy Roddick, hat kein US-Profi mehr einen Grand-Slam-Titel geholt. „Wir schwelgen in Erinnerungen an große, vergangene Zeiten und hoffen darauf, dass wir wieder einen großen Siegspieler finden“, sagte John McEnroe bei tennisnet.com. Bei Wimbledon 2013 erlebten die US-Herren ein Desaster, als erstmals seit mehr als 100 Jahren keiner von ihnen in der dritten Runde stand.
Die „New York Times“ schrieb während der French Open: „Ein langer Weg zur Dominanz für die amerikanischen Männer - einst eine Macht im Tennis, nun hält eine lange Grand-Slam-Dürre an“. „Zu schnell zufrieden, zu soft“ - so versuchte sich Sampras schon vor einiger Zeit einmal an einem Erklärungsansatz für die Misere. Mangelnde Bereitschaft zu harter Arbeit erkannte die frühere Nummer eins, Jim Courier: „Es gibt viele talentierte Spieler, die nicht das Beste aus ihrem Talent herausholen“, sagte der aktuelle Davis-Cup-Teamchef des US-Teams.
Die Zeitschrift „The Atlantic“ verwies darauf, dass irgendwann die Zeit der „Grand-Slam-Dürre“ enden werde, der Zyklus irgendwann umschwenken werde. Courier hofft, dass zumindest im Davis Cup, dem bedeutendsten Tennis-Mannschaftswettbewerb, der Erfolg schneller zurückkehrt. Schon im kommenden Jahr wolle er die „Chance auf den Titel“ wieder wahrnehmen. Im September kämpft das US-Team gegen die Slowakei aber erst einmal um den Verbleib in der Weltgruppe.