Interview Tennisspieler Zverev: „Der Beste zu sein, das braucht Zeit“

London · Der deutsche Tennisspieler Alexander Zverev spricht über seinen jetzt geduldigeren Stil, neue Erkenntnisse auf dem Weg zum Grand-Slam-Sieger, die Entscheidung für Ivan Lendl – und damit gegen den Trainer Boris Becker.

Alexander Zverev spielt am Montag zuerst gegen den Kroaten Marin Cilic ab 15 Uhr, der Bezahlsender Sky überträgt.

Foto: dpa/Christophe Ena

An diesem Wochenende treten die acht besten Tennisspieler der Welt bei den ATP-Finals in London an. Auch der Deutsche Alexander Zverev ist mit dabei. In einem Interview, das im Rahmen einer kleinen Presserunde geführt wurde, spricht der 21-Jährige über die Liebe zu seinem Sport, über ein Leben, das ihm manchmal die Kraft raubt, die Golfmonologe von Ivan Lendl und seinen Start bei den Gerry Weber Open in Halle.

Herr Zverev, der ehemalige österreichische Tennisprofi Thomas Muster hat kürzlich gesagt, sie würden manchmal freudlos auf dem Platz wirken.

Alexander Zverev: Freudlos? Wieso das denn?

Er hat es auch damit begründet, dass Sie hin und wieder ihren Schläger zertrümmern. Brauchen Sie diese Emotionen für Ihr Spiel?

Zverev: Naja, meistens spiele ich danach besser. Aber ehrlich: Diese Einschätzung kann ich nicht nachvollziehen. Ich gehöre zu den Spielern, die die meisten Emotionen auf dem Platz zeigen – ob positiv oder negativ. Und ich hoffe, ich werde immer so bleiben. Mir bedeutet dieser Sport sehr viel und das möchte ich gerne allen zeigen.

Gezeigt haben Sie dieses Jahr auch, dass Sie sich in der Weltspitze etablieren können. Was war Ihr schönster, was Ihr schlimmster Moment?

Zverev: Die Sandplatzsaison war der Hammer. Und trotzdem war Paris die größte Enttäuschung. Ich hatte vorher das Gefühl, ich bin auf dem richtigen Weg. Ich hatte auf ein enges, schweres Match gehofft gegen einen namhaften Spieler – und dann verletzte ich mich im Viertelfinale.

Wie sind Sie mit dem Jahr zufrieden?

Zverev: Für mich war das Jahr sehr gut. Es unter die Top 5 zu schaffen ist viel einfacher, als das im zweiten Jahr zu bestätigen. Die Leute schauen einfach mehr auf Dich. Ich habe drei Masters-Finale gespielt, eines gewonnen, stand in vielen Halb- und Viertelfinals – ich bin stabiler geworden und habe, zumindest in meinen Augen, auch viel besser bei den Grand Slams gespielt.

Alle warten auf Ihren Durchbruch bei einem der Grand Slams. Nervt Sie das eigentlich?

Zverev: Nein. In Deutschland hatten und haben wir unglaubliche Sportler. Wir sind vor vier Jahren im Fußball Weltmeister geworden. Wir hatten Steffi Graf, die mit Serena Williams die beste Tennisspielerin aller Zeiten ist, wir hatten Boris Becker, Michael Stich – wenn ich jetzt unter den besten Fünf der Welt stehe, ist das sehr gut. Aber natürlich wird erwartet, dass da noch mehr kommt. Dass es noch schneller, noch weiter geht. Und abgesehen davon: Niemand erwartet mehr von mir als ich selbst. Aber ich verstehe eben auch, dass das nicht von heute auf morgen geht.

Vor einiger Zeit wirkten Sie noch ungeduldiger bei diesem Thema. Sind Sie realistischer geworden?

Zverev: Ich war immer realistisch: Ich wollte immer der Beste sein (lacht).

Und jetzt nicht mehr?

Zverev: Doch. Ich will immer noch der Beste sein. Aber ich weiß, dass das Zeit braucht.

Was haben Sie sich für das nächste Jahr vorgenommen?

Zverev: Sie wollen jetzt sicher hören, dass ich einen Grand Slam gewinnen will.

Auf gar keinen Fall.

Zverev: Ach, ich will einfach jeden Grand Slam so angehen, dass ich Tennis genießen kann auf der großen Bühne.

In den letzten Jahren haben Sie über zehn Kilogramm zugelegt.

Zverev: Und dabei soll es jetzt auch erst einmal bleiben. Ich wiege jetzt 90 Kilogramm, das reicht. Ich muss das ja auf dem Platz auch rumtragen. Es ist ein ewiger Zwiespalt: Man möchte stark sein, aber auch schnell.

Sie werden jetzt von Ivan Lendl trainiert – warum haben Sie sich für ihn entschieden und nicht für Boris Becker?

Zverev: Ich habe vorher viel mit Boris gesprochen und wir haben beide entschieden, dass jetzt nicht die richtige Zeit ist für eine Zusammenarbeit. Auch, weil er gerade andere Dinge in seinem Leben zu bewältigen hat. Wir haben aber ausgemacht, wenn alles gut läuft, hoffentlich in ein paar Jahren, dann kann das auch noch einmal anders aussehen. Dann hat er Ivan empfohlen.

Was durchaus überrascht.

Zverev: Ja, als Spieler mochten sich die beiden wohl nicht so sehr. Aber als Trainer haben sie einen großen Respekt voreinander. Bis jetzt hat mir die Zusammenarbeit viel gebracht. Aber man kann jetzt auch nicht erwarten, dass da gleich nach ein paar Wochen gleich unglaubliche Resultate zu Tage treten.

Roger Federer hat seine Zusammenarbeit mit Stefan Edberg einmal so beschrieben: Manchmal sitzen wir nur da und schauen den Tauben zu. Was saugen Sie von der Aura eines Ivan Lendl auf?

Zverev: Oh ja, eine Aura hat Ivan auf jeden Fall. Wir reden aber nicht über Tauben, sondern er redet mit sich selbst über Golf und alle anderen müssen zuhören. Manchmal macht er auch irgendwelche Witze, die hat man dann zwar vielleicht schon viermal am Tag gehört, aber es macht trotzdem wirklich Spaß. Er hat eine unglaubliche Persönlichkeit. Wir mögen uns und wir passen zueinander. Das ist das Wichtigste.

Sie haben mal gesagt, Sie hören nicht jedem zu. Hören Sie ihm denn immer zu?

Zverev: Ja. Ihm höre ich wirklich immer zu. Er mag es aber auch, wenn ich ihm mal sage: Das sehe ich nicht so. Vor allem, weil er mich dann widerlegen kann. Er hat alles, was ich machen muss, auf dem Papier und im Computer. Wenn ich der Meinung bin, das ist falsch, dann kann er mir da zeigen, dass es nicht so ist.

Ist er denn auch nach Niederlagen der erste Ansprechpartner oder ist das nach wie vor der Vater, der Sie ja auch trainiert?

Zverev: Es gibt selten Matches, nach denen ich Redebedarf habe. Aber wenn ich mit Ivan rede, dann machen wir das nie am selben Tag. Das mag er nicht. Er geht gerne logisch voran, am liebsten zwei drei Tage danach. Dann hat sich alles schon wieder etwas beruhigt.

Was bringt Sie denn bis dahin runter – Ihr Pudel, der ja immer mit auf Reisen ist?

Zverev: Ja, der Pudel macht das schon gut. Aber ich kann mich auch anders ablenken, In New York etwa war ich sehr traurig, als ich gegen Philipp Kohlschreiber ausgeschieden bin. Da habe ich Basketball gespielt, bis ich weggeflogen bin.

Sie lagen in Ihrer Karriere auch mit der Presse schon im Clinch. Als sie dieses Jahr nach dem Aus in Montreal gegen den Griechen Stefanos Tsitsipas befanden, das sei ein „lächerliches“ Match gewesen, wurden Sie dafür hart kritisiert.

Zverev: Ja, aber was soll ich denn sagen, wenn ich es so empfinde? Ich bin einer der ehrlichsten Spieler auf der Tour. Viele kommen in die Pressekonferenz und sagen: Er war der bessere Spieler und dann gehen sie wieder raus. Wenn ich gut gespielt habe, sage ich, ich habe gut gespielt. Wenn ich schlecht gespielt habe, sage ich das auch.

Wie schwierig ist es, sich normal zu verhalten, wenn man ständig unter Beobachtung steht?

Zverev: Ich versuche, im persönlichen Leben derselbe Mensch zu sein, wie ich es öffentlich bin. In der Begegnung mit anderen Menschen, vor allem mit Kindern, versuche ich immer, sehr freundlich zu sein. Ich weiß, was es etwa für eine große Bedeutung hat, wenn sie mit mir Tennis spielen und mir nahe sein können. Für sie bin ich ein Mensch, den sie sonst nur im Fernsehen sehen. Ich möchte, dass sie sich in meiner Nähe wohlfühlen. Aber ich selbst sehe mich nie als Superstar.

Der Davis Cup hat einen neuen Modus, und Sie haben bereits gesagt, für das Finalturnier im kommenden November stehen Sie nicht zur Verfügung. Wie sieht es denn für die erste Runde im Februar in Frankfurt aus?

Zverev: Da würde ich liebend gerne spielen und wenn nichts dazwischen kommt, mache ich das auch. Wenn der Modus geblieben wäre wie die letzten Jahre, würde ich auch mehr spielen. Aber wenn ich mir jetzt vorstelle, dass ich nächsten November nach den ATP-Finals noch ein Turnier im Davis Cup spielen soll, dann muss ich leider sagen: Leute, das geht nicht, da bin ich im Urlaub.

Aber da war schon immer das Endspiel.

Zverev: Schon. Aber bisher wusste man dann, wir sind jetzt als Mannschaft im Finale. Da würde ich auch spielen. Aber jetzt steht ein Turnier mit 17 Mannschaften an. Ich bin ehrlich gesagt skeptisch, dass die Top-10-Spieler an diesem Turnier teilnehmen werden.

Ist der Davis Cup nicht mehr attraktiv genug?

Zverev: Für mich hat der Davis Cup viel Wert – so wie er mal war mit Heim- und Auswärtsspielen. Diese Partien in Spanien oder Australien, wie viel Energie da war – das wird man nicht nachstellen können, wenn man den Davis Cup in einer Woche spielen muss. Und wenn man es schon so macht, dann würde ich es wie eine Fußball-WM organisieren: zwei, drei Wochen und dafür nur alle vier Jahre. Aber nicht jedes Jahr am selben Ort in einer Woche 18 Mannschaften, das ist für mich Schwachsinn.

Weil der Turnierplan proppenvoll ist?

Zverev: Wir spielen elf Monate im Jahr, wir haben keine Zeit, Urlaub zu machen. Meiner Meinung nach müssen wir nicht schauen, wie man die Saison länger macht, sondern wie man sie verkürzt.

Was nervt Sie am meisten?

Zverev: Ich würde nicht sagen, dass es nervt. Es ist einfach nur kräftezehrend. Man kann einen Job haben, den man liebt, aber wenn man ihn elf Monate intensiv erledigt, hat man irgendwann mental und physisch keine Kraft mehr.