Wimbledon-Triumph „Traum meiner Träume“ - Kerber schreibt Sommermärchen
London (dpa) - Das Sommermärchen für Deutschland schreibt dieses Mal Angelique Kerber. An dem Wochenende, an dem die deutsche Sportszene mit der Fußball-Nationalelf über den WM-Titel jubeln wollte, verewigt sich die 30 Jahre alte Kielerin in der Tennisgeschichte und gewinnt Wimbledon.
„Das war der Traum meiner Träume. Das bleibt für immer. Ich kann jetzt immer sagen, dass ich Wimbledon-Champion bin“, sagt Kerber nach ihrem Coup über Serena Williams. Als erste Deutsche seit Steffi Graf 1996 triumphierte Kerber, als erst dritte Deutsche überhaupt.
Am Sonntag freut sie sich besonders auf das Champions Dinner am Abend, das sie bisher nur vom Fernsehen kannte. „Ich habe bestimmt 50 Kleider anprobiert“, schildert sie ihre knifflige Mode-Anprobe. Am Ende habe sie sich für ein Kleid, „ganz elegant und ganz schlicht“, entschieden. „Das ist Wimbledon für mich.“
Erstmals ohne Sportklamotten, sondern in einem luftigen Sommerkleid erscheint sie auf der Tennis-Anlage an der Church Road - nach einem gemeinsamen Essen am Abend mit ihrer Mutter Beata und ihrem Team und einem Bar-Besuch bis „so vier halb fünf“. Es sei schon hell geworden.
Sie fühle sich komplett anders. „Ich fühle mich, als ob alles von mir abfällt“, sagt Kerber. „Ich glaube, ich brauche noch einige Tage, bis ich das wirklich realisiere, dass ich wirklich Wimbledon gewonnen habe.“
Runde 200 Nachrichten sind nach ihrem Coup auf ihrem Handy eingetrudelt, eine auch von ihrem Vorbild Steffi Graf. „Sie hat mir gratuliert, sie hat mir geschrieben, dass sie das verfolgt hat, dass sie sich mit mir freut, dass ich das genießen soll und dass ich das verdient habe“, sagt Kerber. „Es ist immer schön, wenn ich so eine Nachricht von Steffi kriege, gerade hier in Wimbledon.“ Ihr Name steht nun in einer Reihe mit Graf, Boris Becker und Michael Stich.
Kerbers Bild hängt bald in der Ehrengalerie mit berühmten Vorgängern wie Graf und Boris Becker. „Für mich ist es eine ganz große Ehre, nach Steffi die nächste deutsche Wimbledonsiegerin zu sein. Die nächste Deutsche zu sein, die mit diesem Pokal nach Hause kommt, besser geht es nicht“, sagt die nun dreimalige Grand-Slam-Siegerin. „Was will man mehr? Ich habe es geschafft.“ Auf einen erneuten Triumph des Fußball-Weltmeisters von 2014 hatten viele gesetzt, mit Kerber als Champion auf dem grünen Rasen aber kaum einer gerechnet.
Mit ihrem unbändigen Willen und ihrer Leidenschaft hat sie es beim berühmtesten aller Tennis-Turniere den Kritikern gezeigt. Sie hat bewiesen, dass 2016 keine Ausnahme war, dass sie sich aus Krisen herausarbeiten kann. Vielleicht auch sich selbst bewiesen.
Wimbledon zählt mehr als alles andere. Deswegen ist dieser 14. Juli 2018 höher einzuschätzen als ihre zwei Grand-Slam-Coups zuvor. „Ich bin durch mit meinem Leben“, stammelt Kerber platt direkt nach dem Match in den Katakomben. Kanzlerin Angela Merkel freut sich über die „begeisternde Leistung“ der dritten deutschen Wimbledonsiegerin nach Cilly Aussem in den 1930ern und Steffi Graf in den 1980ern und 90ern. „Wir müssen nun unser Wohnzimmer teilen !!!“, twittert der dreimalige Sieger Becker mit Blick auf seine Lieblingsstätte.
In großen Finals ruft die Norddeutsche mit Wohnsitz im polnischen Puszczykowo ihr bestes Tennis ab. Sie spielt furchtlos, sie beherrscht Williams beim überraschend klaren 6:3, 6:3. „Weil ich schon 30 bin“, wie sie lachend antwortet, locker und gelöst wie nie zuvor in den zwei geschichtsträchtigen Wimbledon-Wochen. Schon als junges Mädchen hat sie vor dem Fernseher Grafs Dominanz bewundert. Hier wollte sie auch sein, hier wollte sie auch einmal triumphieren.
Zweifel lässt sie am Samstag nicht aufkommen. Ihre Stärke ist auf einmal zurück. Kerber selbst beschreibt das vergangene Seuchenjahr mit vielen Tiefpunkten als notwendiges Übel für den Wimbledonsieg. Selbst die Chefin im deutschen Damen-Tennis, Barbara Rittner, war 2017 skeptisch: „Ich habe schon in der zweiten Jahreshälfte gedacht, wenn sie nicht langsam was verändert, wird es eng. Dann kommt sie nicht mehr zur alten Stärke zurück“, sagt die 45-Jährige.
Williams ist eine faire Verliererin. Gnadenlos hatte Kerber es ausgenutzt, dass die 36-Jährige zehn Monate nach der Geburt ihrer Tochter noch nicht auf dem Level sein kann wie bei ihren 23 Grand-Slam-Siegen zuvor. Williams' Weg durch ihr erst viertes Turnier seit der Pause ist imposant. „Für alle Mütter da draußen, ich habe heute für euch gespielt“, sagt die US-Amerikanerin. „Es war für mich so ein großer Kampf zurückzukommen. Wenn ich es kann, können es die anderen Mütter auch schaffen.“ Schon ihren ersten Grand-Slam-Sieg holte Kerber 2016 in Australien gegen Williams. Im Trubel nach ihrer herausragenden Saison mit dem Sprung an die Spitze der Weltrangliste war der Linkshänderin damals alles zu viel geworden.
Jetzt wolle sie mit den Anfragen und Terminen abseits des Platzes und den Erwartungen auf dem Platz anders umgehen, sagt Kerber. Vor den anstehenden Turnieren in Amerika will sie „noch ein bisschen Urlaub nehmen. Das ist bei mir ganz oben. Das habe ich gelernt.“
Die jetzt dreimalige Grand-Slam-Siegerin ist gereift, hat sich als Person und Persönlichkeit entwickelt. Ihre teils harsche Selbstkritik, ihr Perfektionismus und ihr Ehrgeiz sind geblieben und haben den Wimbledonsieg erst ermöglicht. Ihr Willen hat sie zum Trainerwechsel vom gewohnten Torben Beltz hin zum Belgier Wim Fissette bewegt. „Sie hasst ja nichts mehr als neue Leute um sich herum“, sagt Rittner. „Dass sie diesen Schritt gegangen ist und belohnt wurde, das gibt ihr auch was fürs Leben.“
Nur die French Open fehlen jetzt noch in ihrer Grand-Slam-Sammlung. „Das ist für mich selber eine Beruhigung in mir drinnen, dass ich Wimbledon gewonnen habe.“