Viel Masse, kaum Klasse: Topspieler nicht in Sicht
Melbourne (dpa) - Aus und vorbei: Die deutschen Tennis-Herren sind in Melbourne nur noch Zuschauer. Erstmals seit sieben Jahren steht kein Deutscher bei den Australian Open in der dritten Runde. Und Besserung ist im Boris-Becker-Land nicht in Sicht.
Als Patrick Kühnen zu Beginn dieser Woche über die Tennis-Anlage im Melbourne Park schlenderte, wusste der Teamchef der deutschen Davis-Cup-Mannschaft kaum wohin. Gleich 14 seiner Spieler hatten sich für das erste Grand-Slam-Turnier des Jahres qualifiziert. Wenn die Australian Open in den kommenden Tagen richtig Fahrt aufnehmen, wird Kühnen aber viel Zeit haben. In Melbourne hat nicht ein einziger deutscher Profi den Sprung in die dritte Runde geschafft - die Talfahrt des einst so stolzen deutschen Herren-Tennis hält unvermindert an.
„Das ist natürlich sehr schade“, sagte Kühnen, nachdem sich in Benjamin Becker sein letzter Schützling verabschiedet hatte. „Man darf aber nicht vergessen, dass wir erstmals seit langer Zeit keinen gesetzten Spieler mehr hatten. Da ist es zwangsläufig, dass man schnell auf starke Gegner trifft“, meinte Kühnen und versuchte wieder einmal das schlechte Abschneiden zu erklären.
Während bei den Damen in Andrea Petkovic und Julia Görges zwei Spielerinnen kurz vor dem Durchbruch in die erweiterte Weltspitze stehen, herrscht bei den Herren Flaute. Ein Nachfolger von Boris Becker oder Michael Stich ist weit und breit nicht in Sicht. „Wir sind quantitativ sehr gut aufgestellt, mit zehn Spielern in den Top 100“, sagte DTB-Sportdirektor Klaus Eberhard. „Aber natürlich fehlt uns jemand, der bei den Grand Slams in der zweiten Woche noch dabei ist.“
Als letzter Deutscher erreichte Thomas Haas 2009 in Wimbledon das Halbfinale, der letzte in einem Grand-Slam-Finale war Rainer Schüttler 2003 in Melbourne. Doch Haas hat seit fast einem Jahr kein Spiel auf der Tour mehr bestritten. Der 32-Jährige arbeitet derzeit in den USA an seinem Comeback. Ob Haas überhaupt noch einmal zurückkehrt oder wie Nicolas Kiefer seine Karriere auch bald beendet, ist aber ungewiss.
Haas, Kiefer und Schüttler: Ihnen hatten die deutschen Tennis-Fans den Durchbruch noch zugetraut, die nachfolgende Generation hat dagegen niemand mehr auf der Rechnung. Philipp Kohlschreiber kommt seit Jahren in der Rangliste nicht richtig voran, Florian Mayer, Benjamin Becker und Philipp Petzschner lassen immer mal wieder aufhorchen, doch in die Top 20 schafft es niemand.
Was fehlt, ist die Konstanz. Auch in Melbourne zeigten die deutschen Herren zum Teil ansprechende Leistungen. Doch zwei Tage nach Mayers Triumph gegen den Russen Nikolai Dawydenko ging der Bayreuther sang- und klanglos gegen den Japaner Kei Nishikori ein. Becker schlug zunächst den an Nummer 24 gesetzten Letten Ernests Gulbis, um dann gegen den Ukrainer Alexander Dolgopolow zu verlieren.
„Das Niveau ist einfach verdammt eng. Da ist es egal, ob man gegen einen aus den Top 20 spielt oder gegen die Nummer 50“, sagte Becker zerknirscht. „Wenn ich wüsste, woran es liegt, dass wir die Konstanz nicht hinbekommen, würde ich es zu allererst bei mir abstellen“, sagte der Mettlacher. Doch auf der Suche nach dem Schlüssel zum Erfolg tappen die deutschen Herren schon lange im Dunkeln. Und auf Sicht scheint niemand da, der das Licht anknipst.