Wimbledon diskutiert nicht nur über Federer

London (dpa) - Vom jähen Ende all seiner Wimbledon-Träume wollte Roger Federer nichts wissen. Gerade erst war er von einem Ukrainer namens Sergej Stachowski humorlos vom Centre Court gejagt worden.

Respektlos vertrieben aus seinem Reich, in dem er siebenmal die Trophäe des Siegers stemmen durfte und die im Volksmund längst Federers Wohnzimmer heißt. An jenem 26. Juni 2013 zählte der langjährige Tennis-Herrscher an der ehrwürdigen Church Road zu einer fast schon unheimlich anmutenden Anzahl von Gestürzten und Gescheiterten.

An einem Tag, den man guten Gewissens und ohne Übertreibung als einen der verrücktesten Grand-Slam-Tage der jüngeren Historie bezeichnen darf, erwischte es insgesamt sieben ehemalige Branchenführer. Bei den Herren entnervte Qualifikant Dustin Brown die frühere Nummer eins und Ex-Wimbledon-Champion Lleyton Hewitt. In der Damen-Konkurrenz verabschiedeten sich Maria Scharapowa, Victoria Asarenka, Ana Ivanovic, Jelena Jankovic und Caroline Wozniacki.

„Was zum Teufel geht da in Wimbledon vor?“, twitterte Ex-Profi Andy Roddick, der bei den Offenen Englischen Meisterschaften dreimal im Endspiel stand und 2003 die US Open gewann. Vom „Wild Wednesday“ war in Medien und sozialen Netzwerken die Rede. Denn neben all dem sportlichen Wimbledon-Wahnsinn meldeten sich auch noch gleich sieben Profis verletzt ab. Neben Asarenka traten Nadal-Bezwinger Steve Darcis, Jo-Wilfried Tsonga, John Isner, Marin Cilic, Radek Stepanek und Jaroslawa Schwedowa entweder nicht an oder gaben frühzeitig auf.

Die meisten von ihnen ausgerutscht und gefallen auf den frisch gemähten und leicht rutschigen Rasenplätzen. Federer suchte für seinen Ausrutscher keine Ausreden. „Für mich war das überhaupt kein Problem, ich bin nicht gerutscht. Es ist halt immer noch Gras“, sagte der 17-malige Grand-Slam-Turniersieger, als er eine halbe Stunde nach dem denkwürdigen 7:6 (7:5), 6:7 (5:7), 5:7, 6:7 (5:7) zu seiner letzten Pressekonferenz der Wimbledon-Auflage 2013 erschien.

In blauen Shorts und Ringel-Shirt wehrte der 31-Jährige Fragen nach der möglicherweise verpassten letzten Chance ab und wies Gedanken an den Anfang vom Ende seines Wimbledon-Zaubers zurück. „Ich werde wieder an die Trainingsarbeit gehen - und hoffentlich stärker zurückkommen. Ich will noch viele Jahre in Wimbledon spielen in Zukunft. Und viele Matches gewinnen“, sagte er gefasst und geduldig, aber auch ein wenig emotionslos und zurückhaltend.

Es war einer der Momente, in dem man nicht genau wusste: War's das jetzt mit dem ersehnten achten Wimbledon-Titel, den vor ihm noch keiner erreicht hat? Wenn schon nicht hier, auf seinem Rasen, bei seinem Turnier - wird Federer überhaupt noch einmal einen der vier großen Grand-Slam-Klassiker gewinnen? Bei den French Open verabschiedete er sich jüngst im Viertelfinale, sein einziger Titel in diesem Jahr gelang vor gut einer Woche im westfälischen Halle.

Zu wenig für Federer-Maßstäbe. Und so wurden natürlich die ersten Nachrufe gedichtet. Die Schweizer Boulevardzeitung „Blick“ bat zur Umfrage: „Kann Federer in Wimbledon noch mal was reißen?“ und schrieb: „Zwar schwärmt die Konkurrenz immer noch in den höchsten Tönen von Federer. Sie spricht aber so von ihm, wie man über eine Legende redet, deren beste Zeit schon einige Jährchen zurückliegt.“ Der „Tages-Anzeiger“ titelte trocken: „Die Aura ist verflogen“.

Die Schlagzeilen allerdings klingen nach Wiedervorlage. Auch in seinem Grand-Slam-titellosen Jahr 2011 und dem ersten Halbjahr 2012 wähnten viele die Götterdämmerung gekommen. Dann gewann Federer in Wimbledon, wurde wieder die Nummer eins und holte Silber bei Olympia. Es ist noch zu früh, um Roger Federers Ende auszurufen.