Vom Küken zur Weltklasse: 5 x Gold für Schaffelhuber
Krasnaja Poljana (dpa) - Ihr letztes Gold nahm Anna Schaffelhuber direkt an dem Ort in Empfang, den sie ihr Leben lang nicht vergessen wird.
Noch im Zielbereich der Paralympics-Alpinstrecken von „Rosa Chutor“ ertönte zum fünften Mal bei den Sotschi-Spielen die Nationalhymne nur für das deutsche Covergirl. Strahlend wie im Kinderfilm zählte die 21-Jährige vor den Fernsehkameras mit ihren Fingern noch mal ganz vorsichtig nach - fünf Finger, fünfmal Gold. „Das ist so groß. Am meisten bin ich gespannt, wenn ich aus dem Traum in die Wirklichkeit zurückkomme“, kommentierte die Monoskifahrerin.
Ein geschichtsträchtiger Triumph, mit dem niemand rechnen konnte. Fast niemand - bis auf die seit ihrer Kindheit querschnittsgelähmte Schaffelhuber selbst. „Fünfmal zu gewinnen war ihr Ziel“, verriet Mutter Beate, „und jetzt bin ich überglücklich, dass sie sich diesen Wunsch auch erfüllt hat.“ Mit dem Paralympicssieg im Riesenslalom am Sonntag toppte Schaffelhuber ihre schon bis dato herausragende Ausbeute. „Jetzt bist du kein Küken mehr, jetzt bist du Weltklasse“, flüsterte ihr der stolze Verbandspräsident Friedhelm Julius Beucher zu, als er seine Sotschi-Überfliegerin endlich in die Arme nahm.
Auch Mama Schaffelhuber herzte ihre Tochter kurz - es wirkte nach all den Erfolgserlebnissen der vergangenen Tage wie die pure Gewohnheit. „Superguad“, befand die Mutter derartig cool, als wenn ihre Tochter gerade eine 2 in Mathe mit nach Hause gebracht hätte. Dabei war Sieg Nummer fünf im fünften Paralympics-Rennen natürlich von einem ganz anderen Kaliber. „Ich wusste von den Vorergebnissen aus dem Weltcup, dass in jeder Disziplin Gold möglich ist“, sagte Schaffelhuber und präsentierte prompt historische Fakten: „Ich bin erst die dritte im alpinen Bereich, die fünfmal Gold auf einmal geschafft hat.“
Beucher schwenkte im Zielbereich seine schwarz-rot-goldene Fahne und sang gewohnt lautstark die Hymne mit. Seine Ausnahmeathletin wurde bei der Medaillenzeremonie Minute um Minute etwas rötlicher im Gesicht, als wären ihr diese beispiellosen Erfolge inzwischen selber etwas unangenehm. „Sie hat auf dieser schweren Strecke mit einer unglaublichen Mischung aus Vorsicht und Tempo und einer wahnsinnigen Disziplin keinen an sich herangelassen“, lobte der Verbandspräsident.
Nach ihren überlegenen Siegen in Abfahrt, Super-G und Super-Kombination sowie des 24-Stunden-Dramas um eine mögliche Disqualifikation im Slalom samt Happy End lief es im Riesentorlauf zunächst nicht ganz nach Wunsch. Im ersten Durchgang fuhr die Bayerin nur die zweitschnellste Zeit, die angepeilte fünfte Goldmedaille schien in Gefahr. „Ich war zu verhalten unterwegs“, meinte sie. Im zweiten Lauf setzte die Alpin-Königin der Sotschi-Spiele dann voll auf Attacke - und hätte wohl auch gewonnen, wenn die führende Kanadierin Kimberly Joines nicht ausgeschieden wäre.
„Sie ist schon wahnsinnig weit in ihrer Entwicklung. Wie sie das alles packt, wie sie auch den Erfolg und den Stress verarbeitet, zeugt von einer unglaublichen Reife“, schwärmte Chef de Mission Karl Quade. Die Frage, was jetzt überhaupt noch kommen soll, stellt sich automatisch. Woher noch Motivation ziehen, wenn das maximal Mögliche in der Karriere eines Behindertensportlers schon mit 21 erreicht ist?
Die blinde Verena Bentele, die vor vier Jahren in Vancouver auch fünfmal Gold schaffte, ist inzwischen auch in politischer Hinsicht rasant aufgestiegen und arbeitet als Behindertenbeauftragte der Bundesregierung. Schaffelhuber will mit dem Sport noch lange nicht aufhören, obwohl noch mehr bei Paralympics kaum möglich ist. „Es gibt ja nur fünf Alpin-Wettkämpfe bei den Paralympics. Sie kann ja nicht gleichzeitig auch noch Langlauf machen“, scherzte Quade. Schaffelhuber selbst setzte sich im ersten Moment ein pragmatisches Ziel für die Zukunft: „Ich will einfach noch schneller werden.“