Massenstart: Die verpasste Eis-Revolution

Tscheljabinsk (dpa) - Sprint-Gerangel, Stürze, Ellenbogen-Kämpfe: Im neuen Weltcup-Zirkus der Eisschnellläufer stehen erstmals spektakulär anmutende Massenstarts auf dem Programm.

Der Eislauf-Weltverband ISU will damit versuchen, den Sport aus seiner TV-Nische zu rücken. Doch bei vielen wird diese Neuerung skeptisch gesehen.

Claudia Pechstein findet den Massenstart zumindest spannend - ob sie aber teilnimmt, weiß sie noch nicht. „Ich werde spontan entscheiden, ob ich beim ersten Rennen in einer Woche in Astana dabei bin. Ich mache das von meiner körperlichen Verfassung abhängig“, sagte die Berliner Olympiasiegerin, die in der am Freitag beginnenden Weltcup-Serie über 1000, 1500, 3000, 5000 Meter und im Team dabei ist und auch ohne Massenstart ein Riesen-Pensum bewältigen will.

Für Bundestrainer Stephan Gneupel ist die angekündigte „Revolution auf dem Eis“ ein eher zweifelhafter Versuch. „Der Eisschnelllauf ist ein bisschen antiquiert. Er muss unbedingt modernisiert werden. Aber so lange der Massenstart nicht olympisch ist, ist das nicht zu Ende gedacht. Da muss der Weltverband mehr wagen“, meinte der Thüringer. Die von ihm trainierte Stephanie Beckert wird sich angesichts ihrer Rückenprobleme in den bislang unbekannten Eisschnelllauf-Arenen von Tscheljabinsk im Ural und im kasachischen Astana auf die 3000 Meter konzentrieren und vorerst keine Experimente machen.

Im Gegensatz zum fehlgeschlagenen Test mit dem 100-Meter-Sprint findet der Massenstart großes Interesse im Eisschnelllauf-Mutterland Niederlande. „Wer will heutzutage noch Rennen über 10 000 Meter anschauen? Dazu hat doch keiner mehr Zeit, außer den Holländern. Solange Neuheiten aber nicht auf dem Olympia- oder WM-Programm stehen, wird das nichts“, so Gneupel, der zwingend Handlungsbedarf für die ISU sieht, zumal die Einschaltquoten beim Eisschnelllauf seit Jahren drastisch in den Keller gehen und nur zu Olympia ansteigen.

In Astana, Heerenveen und Berlin werden nun die ersten offiziellen Massenstart-Rennen ausgetragen, nachdem die ISU im vergangenen Winter bei zwei Demonstrations-Wettbewerben Erfahrungen gesammelt hatte. „Ich habe dabei glänzende Augen bei den Athleten gesehen. Ihnen hat es Spaß gemacht“, berichtete Teamchef Helge Jasch. Doch die Preisgelder beim Massenstart sind ernüchternd. Für den Gesamtsieg gibt es 1500 US-Dollar und damit nur 10 Prozent im Vergleich zu den Weltcups auf den olympischen Strecken.

Gelaufen werden bei den Damen 15 und bei den Herren 20 Runden, Punkte erhalten die besten Sechs (25/15/10/5/3/1). Es gibt zwei Zwischensprints, bei denen nur die besten vier Punkte (5/3/2/1) sammeln können. Gefahr droht den Athleten bei Stürzen, da die Schlittschuh-Kufen scharf wie Messer geschliffen sind. Schienbeinschoner wie beim Shorttrack sollen die Massenstarter vor Schnittwunden zumindest am Unterschenkel bewahren. Pro Nation sind drei Teilnehmer startberechtigt, damit wären Riesen-Felder von 40 bis 50 Läufern denkbar.

Noch im Teststatus sind weiter die Teamsprints: Bei diesem Ausscheidungsrennen nehmen drei Sportler das Rennen auf, nach jeder Runde scheidet einer aus und nur der dritte Athlet löst nach drei Runden die Team-Endzeit aus. „Wenn kein Geld ausgelobt wird, werden die Starterfelder schnell wieder entvölkert sein“, sagte Sprint-Bundestrainer Thomas Schubert zu dem inkonsequenten Versuch, den Eisschnelllauf zu entstauben. „Wir brauchen dringend Neuerungen, aber die Rahmenbedingungen müssen stimmen“, forderte der Berliner.