Chef-Kritiker als Dominator - Ligetys Fabellauf
Sölden (dpa) - Nach Ted Ligetys Fabelläufen von Sölden rätselt die alpine Elite über das Geheimnis des Riesenslalom-Dominators. Seit mehr als einem Jahr hatte der Amerikaner als Chef-Kritiker gegen die Materialreform des Welt-Skiverbands FIS gewettert.
Nun hinterließ er beim Debüt der neuen Ski eine staunende Konkurrenz. „Meine erste Frage war: Fährt der noch mit den alten Ski?“, meinte der drittplatzierte Österreicher Marcel Hirscher und wertete seinen Rückstand beim Start in den WM-Winter als „schon fast pervers“: „Drei Sekunden geben uns wirklich zu denken.“
Unglaubliche 2,75 Sekunden fuhr Ligety auf den Italiener Manfred Mölgg heraus, obwohl er in beiden Läufen bei Schneefall und tiefer Piste mit schwersten Bedingungen zu kämpfen hatte. „Ich bin begeistert. So etwas konnte ich nicht erwarten. Das ist ein Abstand, den es nur einmal in der Karriere gibt“, staunte der 28 Jahre alte Kombinations-Olympiasieger von 2006.
Einen größeren Riesenslalom-Vorsprung hatte zuletzt der Schwede Ingemar Stenmark im Februar 1979 erreicht. Insgesamt gab es in der Weltcup-Geschichte in allen Herrenrennen nur acht größere Abstände als Sonntag am Rettenbachferner - alle aus längst vergangenen Vor-Carving-Zeiten.
Einen Rückfall in diese Epoche hatten viele Athleten auch durch die neuen Regeln befürchtet. Um Verletzungen zu verringern, erhöhte die FIS vor dieser Saison unter anderem die minimale Ski-Länge im Riesentorlauf von 1,85 Meter auf 1,95 Meter und den Radius von 27 auf 35 Meter.
Vor einem Jahr hatte Ligety in Sölden deshalb einen verbalen Aufstand der Alpinen angeführt, in seinem Blog zeugen noch heute die Überschriften „35 Meter Ironie“ und „Tyrannei der FIS“ von seiner Haltung. „Nachdem ich so kritisch war, wusste ich, dass ich es heute bringen musste, um nicht mein Gesicht zu verlieren“, erklärte Ligety, war aber auch nach seinem zwölften Weltcup-Erfolg nicht vollends versöhnt. „Solange die Kurse nicht zu kurvig sind, sind die Ski sogar ziemlich gut, aber der Sicherheitsfaktor hat sich sicherlich nicht verbessert.“
Abseits der Piste zeigte sich der Athlet aus Utah auch in Sölden bei Sponsorenterminen in Flip-Flops gewohnt lässig. Vor dieser Saison tüftelte Ligety so akribisch wie selten zuvor an der Abstimmung mit dem neuen Material. „Was Ted heute geschafft hat, ist ein wahrer Beleg für seine Arbeit im Sommer“, lobte US-Herrencoach Sasha Rearick. Bis Anfang Dezember beim nächsten Riesentorlauf im amerikanischen Beaver Creek haben Hirscher und Co. nun Zeit, die Gründe für die Demontage zu finden. „Das ist so eine Watschn, dass du es normalerweise gleich lassen musst“, meinte der Gesamtweltcupsieger in Sölden. „Auf uns wartet noch viel Arbeit.“