Alpiner Weltcup in Kitzbühel Ski-Spektakel auf der Streif: Die Gefahr fährt immer mit
Kitzbühel · Im alpinen Ski-Weltcup tobt eine Sicherheitsdiskussion - wieder mal. Und in Kitzbühel geht's nun auf eine der gefährlichsten Strecken überhaupt. Ist die Grenze des Zumutbaren erreicht?
Grölend und mit nackten Oberkörpern standen Marco Odermatt und Cyprien Sarrazin hinter der Bar in einer Kitzbüheler Szene-Kneipe. Die Bilder der feiernden Ski-Stars gingen um die Welt. Ein Jahr später kämpft der Schweizer Odermatt um seinen ersten Sieg bei den Hahnenkamm-Rennen - und der Franzose Sarrazin um die Rückkehr in ein normales Leben.
Die Streif steht seit jeher für großes Spektakel - auch neben der Piste. Doch die Sorge fährt auf einer der gefährlichsten Weltcup-Strecken immer mit. Diskussionen um die Sicherheit der Alpin-Stars gibt es schon lange. Nach einer Reihe von schlimmen Stürzen haben sie vor der 85. Auflage der Tiroler Ski-Festtage mit dem Super-G am Freitag und der Abfahrt am Samstag (jeweils 11.30 Uhr/ZDF und Eurosport) aber neue Fahrt aufgenommen.
Renndirektor: „Es ist fünf nach zwölf“
Das liegt auch an Sarrazin, der ein Jahr nach seinem Doppel-Triumph und der großen Pub-Party diesmal verletzt fehlt. Bei einem heftigen Trainingssturz in Bormio kurz nach Weihnachten erlitt der 30-Jährige eine Blutung in der Nähe des Gehirns. Er wurde am Kopf operiert und lag im Koma. An Skirennen ist derzeit nicht zu denken: Der Franzose hat noch eine lange Reha vor sich; wann und ob Sarrazin überhaupt in den Weltcup zurückkehrt, ist offen.
„Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern fünf nach zwölf“, sagte Markus Waldner, Renndirektor beim Weltverband Fis, kürzlich mit Blick auf die vielen Ausfälle gerade bei den Speedfahrern. Der Kampf um Geschwindigkeit und Perfektion ist längst zu einer Materialschlacht geworden. Dank Hightech-Präparierung ermöglichen die Skier derart hohes Tempo, dass es selbst Spitzenfahrern schwerfällt, die Kontrolle zu behalten. Auch einem wie Sarrazin.
Schramm stürzt heftig im Training
Es gehe ihm wohl schon etwas besser, berichteten einige Fahrer, die mit Sarrazin per Handy geschrieben haben, zuletzt. Spätestens der üble Unfall des Franzosen vom 27. Dezember hat aber gezeigt: Die Grenze des Zumutbaren ist erreicht, wenn nicht sogar überschritten. Menschen sind keine Maschinen. Und sollten Fehler machen dürfen, ohne mit ihrer Gesundheit dafür zu bezahlen.
Wie Jacob Schramm etwa. Der 26-jährige Deutsche stürzte wie schon so viele Fahrer in der Streif-Historie vor ihm im Training am Mittwoch schwer. Er erlitt eine leichte Gehirnerschütterung und Kreuzbandrisse in beiden Knien. Es könne nicht so weitergehen, dass man jede Woche den Rettungshubschrauber fliegen sehe, sagte Männer-Bundestrainer Christian Schwaiger.
Neureuther für einheitliche Anzüge
„Natürlich hat ein Fahrer immer eine Verantwortung sich selbst gegenüber. Aber wir sind an einem Punkt, an dem nicht mehr nur über die Sicherheit geredet, sondern auch etwas entschieden werden muss“, sagte Ex-Skistar Felix Neureuther der Deutschen Presse-Agentur. „Du wirst nie etwas finden, mit dem du es allen recht machen kannst, aber du musst klare Regeln festlegen.“
Der 40-Jährige plädiert beispielsweise für einheitliche und etwas langsamere Rennanzüge. Über anderen Stoff könnte man die Geschwindigkeit drosseln, meinte er. „Das ist auch so möglich, dass es immer noch nach Renn- und nicht nach Freizeitsport aussieht. Auf der Piste machen 5 km/h schon einen großen Unterschied, im Fernsehen sieht es trotzdem noch genauso spektakulär aus.“ Die Geschwindigkeit wieder etwas zu reduzieren, müsse ein Ziel sein, sagte auch Romed Baumann, der Routinier im aktuellen deutschen Speed-Team.
Skikanten so scharf wie Messer
Die eisigen Pisten, vor allem aber Skier, Schuhe und Bindungen werden immer krasser präpariert. „Das Material ist so aggressiv geworden, das ist wirklich enorm. Inzwischen werden Radien gefahren, die waren früher undenkbar“, sagte Neureuther. „Und du musst auch nicht mehr solche Lagen fahren, um ein Feedback von deinem Ski zu kriegen. Der reagiert auf die kleinste Kleinigkeit sofort.“
Sarrazin wurde in Bormio bei wechselhaften Schneeverhältnissen geradezu aus der Stelvio-Piste rauskatapultiert. Dem Norweger Aleksander Aamodt Kilde war bei seinem Sturz in Wengen vor gut einem Jahr unter anderem die Wade aufgeschlitzt worden - so messerscharf sind die Kanten der Skier mittlerweile.
Airbag-Pflicht wird oft umgangen
Viele erwarten vom Weltverband Fis, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Die Sportart zerstöre sich derzeit systematisch selbst, sagte der Sportvorstand des Deutschen Skiverbands, Wolfgang Maier, unlängst der ARD. Alle Interessen und ihre Vertreter - seien es Fahrer, Trainer, Verbände und natürlich Hersteller - unter einen Hut zu kriegen, ist allerdings die große Herausforderung.
Hat er einen Vorteil, wird kein Athlet freiwillig darauf verzichten. Das zeigte schon die Einführung der Airbag-Pflicht zu dieser Saison. Viele Fahrer umgehen sie dank einer Ausnahmeregelung. Auch auf der Streif werden sie wieder um jeden einzelnen Stundenkilometer kämpfen. Doch die Sorge fährt immer mit.
© dpa-infocom, dpa:250123-930-353058/2