Vierschanzentournee Wie die deutschen Skispringer den ersten Höhepunkt des WM-Winters angehen
Es ist wie so oft in den vergangenen Jahren: Wenn die Skispringer in Oberstdorf in die Vierschanzentournee starten, ist es grün in der südlichsten Gemeinde Deutschlands. Was völlig neu ist: Die Mannschaft des Deutschen Skiverbandes hat vor dem ersten Höhepunkt des WM-Winters eine neue Hierarchie.
Die Mannschaft von Werner Schuster steht aus verschiedenen Gründen Kopf. Mit Medaillen dekorierte Leistungsträger wie Severin Freund, Richard Freitag und Andreas Wellinger gehen in Oberstdorf an diesem Samstag in der Qualifikation und am Sonntag im Auftaktspringen (jeweils 16.30 Uhr/ZDF und Eurosport) als Außenseiter an den Start; Springer aus der zweiten Reihe wie Karl Geiger und Stephan Leyhe haben diesen Winter bisher die Ausrufezeichen gesetzt.
Da ist jetzt Fingerspitzengefühl gefragt, oder Herr Schuster?
Der Bundestrainer bleibt gelassen. „Da gibt es nichts zu moderieren. Das ist Leistungssport“, sagt Werner Schuster. „Die Jungs akzeptieren die Gesetzmäßigkeiten des Leistungssports. Wenn es eine neue Hierarchie gibt, dann stutzt man, aber ich greife da nicht ein.“ So ist die Ausgangslage im deutschen Team, das vor einem Jahr mit dem Gesamtführenden im Weltcup (Richard Freitag) und mit dem Gesamtzweiten (Andreas Wellinger) angereist war:
Severin Freund (30 Jahre/WSV DJK Rastbüchl/44. im Gesamtweltcup/22 Einzel-Weltcupsiege/10 Medaillen bei Großereignissen): Nach zwei Kreuzbandrissen ist der Kopf der Mannschaft zurück, aber noch nicht der alte. Für den Tourneezweiten von vor drei Jahren könne es sein, dass der erste Saisonhöhepunkt „einen Ticken zu früh kommt“, sagt Freund, der sich aber nicht aus der Ruhe bringen lassen wolle. „Das Training vor Weihnachten in Lillehammer hat ihm sehr gut getan“, sagt Schuster. Für Freund geht es während der Tournee auch darum, den Platz im Weltcup-Team zu behalten – das ist sein persönlicher Wettbewerb im Wettbewerb.
Richard Freitag (27 Jahre/SG Nickelhütte Aue/27./8 Siege/8 Medaillen): Der Ausnahmeflieger ist ein Pechvogel. In Engelberg, wo er im Training glänzte, brach bei einem Sturz die Verletzung auf, die er sich vor einem Jahr beim Crash in Innsbruck zugezogen hatte. Beim Lehrgang in Lillehammer war er nicht dabei, es galt für den in Oberstdorf lebenden Sachsen, mittels Physiotherapie die Voraussetzungen für den Tourneestart zu schaffen. „Ich hoffe, dass es mit dem Skispringen ähnlich ist wie mit dem Fahrradfahren“, sagt Freitag gut gelaunt zum Kaltstart – er hofft, nichts verlernt zu haben: „Von Platz 50 bis ganz nach vorne ist alles möglich.“
David Siegel (22/SC Baiersbronn/27./0 Siege/0 Medaillen): Über alle im Team wird viel geredet, nur über den 22-Jährigen nicht. Der 13. des Weltcup-Auftakts in Wisla nennt als Tournee-Ziel, „bis zum Ende in Bischofshofen zu springen“.
Markus Eisenbichler (27/TSV Siegsdorf/16./0 Siege/2 Medaillen): „So zäh wie in diesem Jahr ist der Winter schon lange nicht mehr angelaufen“, sagt der Vorjahreszehnte des Gesamtweltcups. Eisenbichler ist laut Schuster seit Wochen der beste Deutsche im Training. Das beste Ergebnis kam zum Schluss. Zuletzt in Engelberg wurde Eisenbichler Sechster: „Ich bin jetzt bei den Leuten.“
Andreas Wellinger (23/SC Ruhpolding/9./3 Weltcupsiege/8 Medaillen): Der Vorjahreszweite der Tournee und Olympiasieger von der Normalschanze ist nach einem unruhigen Sommer noch ein Suchender. Aufgabenstellung für Lillehammer war „strukturiert und effektiv an meiner Technik zu arbeiten“. Wellinger kann es, war Zweiter in Ruka. Was fehlt, ist die Konstanz.
Stephan Leyhe (26/SC Willingen/6./0 Siege/2 Medaillen): „Man wartet seit Jahren auf den deutschen Tourneesieg“, sagt Werner Schuster – man habe dabei bisher vor allem an Richard Freitag, Andreas Wellinger und Severin Freund gedacht. „Aber dann macht’s der Leyhe – wer weiß das schon?“ Der coole Hesse ist ein Mann der ganz kleinen Schritte und geht gelassen in das große Abenteuer Tournee: „Die Schanzen liegen mir alle. Vielleicht habe ich deshalb bei der Tournee meist meine besten Wettkämpfe abgeliefert.“ Seine Ausgangsposition ist so gut wie nie.
Karl Geiger (25/SC Oberstdorf/4./1 Sieg/1 Medaille): Er ist die Nummer eins im Team (siehe Text unten) und der größte Hoffnungsträger. Werner Schuster sagt: „Der Erfolgshunger ist groß, aber wir haben gelernt, nichts zu erzwingen.“